Die Tote im Götakanal
sonnenbeschienenen Mo-le auf der Persenning gelegen hatte, hatte wenigstens ein Gesicht und einen Körper und ein namenloses Grab. Der Mörder war ein Nichts, im Höchstfall eine schemenhafte Nebelgestalt. Aber Nebelgestalten haben keine Mordgelüste und keine scharfkantigen Werkzeuge. Keine Würgehände.
Martin Beck rief sich zur Ordnung: Wenn er die Hoffnung aufgab, konnte er den ganzen Fall auch gleich in die Schublade legen. Vergiß nicht, daß du drei der wertvollsten Eigenschaften besitzt, die ein Polizist haben kann, dachte er bei sich. Du bist hartnäckig und logisch. Und ruhig. Du läßt dich nicht aus der Fassung bringen, und du engagierst dich nur berufsmäßig, dann aber mit Haut und Haaren.
Worte wie Scheußlichkeit und Bestialität gehören in die Zeitungen, nicht in deine Gedankenwelt. Mörder sind ganz gewöhnliche Menschen, nur noch un-glücklicher und kontaktärmer.
Ahlberg hatte er seit jenem Abend im Stadthotel in Motala nicht mehr gesehen. Aber die beiden hatten oft miteinander telefoniert. Das letzte Mal in der vorigen Woche; er erinnerte sich noch an den Schlußsatz:
»Urlaub? Nicht bevor die Geschichte geklärt ist.
Ich hab jetzt fast alles nachgeprüft, aber ich mach weiter. Und wenn ich den ganzen Borensee durchfiltern müßte.«
Ahlberg schien sich völlig in die Sache verbissen zu haben, dachte Martin Beck.
»Verdammt noch mal«, murmelte er und schlug mit der Faust auf die Fensterbank.
Dann ging er zum Tisch zurück und setzte sich, schwenkte den Stuhl mit einer Viertelwendung nach links und starrte gleichgültig auf das Papier in der Schreibmaschine. Was hatte er nur in dem Augenblick schreiben wollen, als Kollberg den Brief anbrachte?
Sechs Stunden später zeigte die Uhr zwei Minuten vor fünf. Er hatte seine Jacke angezogen und dachte mit einem gewissen Grauen an die überfüllte U-Bahn, die er gleich besteigen sollte. Es regnete immer noch, und schon jetzt spürte er den muffigen Geruch nasser Mäntel. Er haßte U-Bahn-Fähren, und wenn er eingekeilt in der Menge stand, überfiel ihn regelmäßig eine Art Platzangst.
Eine Minute vor fünf erschien Stenström. Wie üblich, riß er, ohne anzuklopfen, die Tür auf. Es war irritierend, aber immerhin noch erträglicher als Melanders pickende Klopfsignale und Kollbergs ohrenbetäubendes Bullern.
»Hier ist eine Mitteilung an die Abteilung für entsprungene Mädchen. Bedanke dich dafür bei der amerikanischen Botschaft; die sind die einzigen, die sich noch darum kümmern.« Er studierte den hellroten Telexstreifen. »Lincoln, Nebraska. Woher kam die von neulich?«
»Aus Astoria, New York.«
»War das die, wo sie eine drei Seiten lange Personalbeschreibung durchgaben, aber anzugeben vergaßen, daß es sich um eine Farbige handelte?«
Martin Beck nickte.
Stenström gab ihm den Streifen und fügte hinzu:
»Hier steht die Nummer von einem Kerl in der Botschaft. Du sollst ihn anrufen.«
Erfreut, die drohende Fahrt mit der U-Bahn noch etwas aufschieben zu können, nahm Martin Beck den Hörer hoch. Doch er kam zu spät. Das Botschaftspersonal war bereits nach Hause gegangen.
Der nächste Tag war ein Donnerstag, und das Wetter hatte sich noch verschlechtert. Die Morgenpost brachte eine verspätete Nachricht über eine fünfundzwanzigjährige Hausgehilfin von einem Ort, der Rang hieß und in Schonen zu liegen schien. Sie war nicht aus dem Urlaub zurückgekommen.
Während des Vormittags wurden redigierte Abschriften von Kollbergs Beschreibungen und die üblichen retuschierten Fotos losgeschickt, einmal an den Landsfiskal in Vellinge, zum anderen an einen gewissen Detective Lieutenant Elmer B. Kafka, Homicide Squad, Lincoln, Nebraska/USA.
Nach dem Lunch spürte Martin Beck ein Kratzen im Hals, und als er am Abend nach Hause kam, hatte er schon Schwierigkeiten mit dem Schlucken.
»Morgen muß die Kriminal-Staatspolizei eben ohne dich auskommen. Dafür werd ich schon sorgen«, verkündete seine Frau.
Er öffnete schon den Mund, warf aber einen Blick auf das Kind und schloß ihn wieder, ohne etwas gesagt zu haben. Sie genoß ihren Triumph und fügte schnell hinzu:
»Die Nase ist ja völlig verstopft. Du schnappst nach Luft wie ein Barsch auf dem Trockenen.«
Er legte Messer und Gabel beiseite, murmelte sein »Mahlzeit« und machte sich daran, die Masten der Danmark aufzurichten. Langsam begannen sich seine Nerven zu beruhigen. Die Bastelei nahm seine ganze Aufmerksamkeit gefangen. Den Ton des Fernsehers im Zimmer nebenan hörte
Weitere Kostenlose Bücher