Die Tote im Götakanal
beschäftigt gewesen war, alle Protokolle und Zeugenaussagen zum fünfhundertsten- oder vielleicht sogar zum tausendstenmal zu kontrollieren und zu zerpflücken.
Wie oft hatte er ihn nicht zufällig und an ganz ungewohnten Orten getroffen, zu Zeiten, wo er dienstfrei war oder sogar Urlaub hatte, ständig auf der Jagd nach neuen Anhaltspunkten in einem Fall, der zur Tragödie seines Lebens geworden war. Schließlich war er krank geworden und wurde vorzeitig pensioniert, hatte aber trotzdem nicht aufgegeben.
Endlich kam der Tag der Erlösung, als ein Mann, der noch nie vorher bestraft oder eines Verbrechens beschuldigt worden war, plötzlich vor einem verblüfften Landsfiskal in Halland in Tränen ausbrach und einen sieben Jahre zurückliegenden Mord durch Erwürgen zugab. Da gewann man dann auch volle Klarheit über die lächerlichen Zufälle und Tatsachen, die übersehen worden waren und dadurch die Polizei daran gehindert hatten, den Mörder sofort festzunehmen. Martin Beck fragte sich manchmal, ob diese späte Lösung dem alten Kriminalbeamten wirklich den erhofften Frieden gebracht hatte.
So konnte es also gehen. Obwohl die Frau in dem Keller so gar nichts mit Roseanna McGraw gemeinsam hatte. Sie war ein haltloses, umherziehendes menschliches Wrack gewesen, dessen Asozialität ebenso undiskutabel war wie der belastende Inhalt ihrer Handtasche.
Martin Beck dachte viel an diesen Fall, während er nervös und untätig in seinem Zimmer saß und darauf wartete, daß etwas geschah.
In Motala beschäftigte sich Ahlberg damit, die städtischen Behörden in Atem zu halten: Unaufhörlich drängte er darauf, daß jeder Quadratmeter des Kanalbeckens von Tauchern und Froschmännern untersucht würde. Mit Martin Beck nahm er nur selten Kontakt auf, wartete aber jeden Augenblick darauf, daß das Telefon klingeln sollte.
Nach einer Woche traf in Kristineberg ein neues Telegramm von Kafka ein. Der Text war knapp und überraschend:
YOU WILL HAVE A BREAK ANY MINUTE NOW
Martin Beck rief Ahlberg an: »Kafka prophezeit uns eine Überraschung. «
»Er hat wohl das Gefühl, daß wir eine Aufmunterung gebrauchen können«, entgegnete Ahlberg gleichmütig.
Kollberg war anderer Meinung. »Der Mann ist wohl unter die Hellseher gegangen.«
Melander äußerte sich überhaupt nicht.
Innerhalb von zehn Tagen hatten sie etwa fünfzig Farbaufnahmen in der Hand und ließen rund dreimal so viele Negative kopieren. Viele der Bilder waren von schlechter Qualität. Roseanna McGraw konnten sie nur auf zweien ausfindig machen. Beide waren beim Riddarholms-Kai aufgenommen worden; sie stand immer noch allein achtern auf dem A-Deck, ein paar Meter von ihrer Kabine entfernt. Auf dem einen Foto stand sie vornübergebeugt und kratzte sich am rechten Spann, aber das war auch alles. Die anderen identifizierten im übrigen dreiundzwanzig Passagiere. Die Gesamtzahl war damit auf achtundzwanzig gestiegen.
Melander kümmerte sich um die genaue Auswertung, dann gab er die Fotos an Kollberg weiter, der sie in die ungefähre zeitliche Reihenfolge zu bringen versuchte. Martin Beck betrachtete den Stapel Stunde um Stunde, sagte aber nichts.
In den nächsten Tagen gingen noch einige Dutzend Bilder ein, doch Roseanna McGraw fand sich auf keinem.
Dagegen traf endlich ein Brief von der Polizei aus Ankara ein. Er lag am Morgen des dreizehnten Tages – entsprechend der neuen Zeitrechnung – auf Martin Becks Schreibtisch, und es dauerte zwei weitere Tage, bis die türkische Botschaft den Text ins Englische übersetzt hatte.
Entgegen allen Erwartungen brachte dieser Brief sie zum erstenmal seit langer Zeit ein kleines Stückchen weiter.
Einer der türkischen Passagiere, der zweiundzwanzigjährige Medizinstudent Günes Fratt, hatte zugegeben, daß er die Frau auf den Bildern wiedererkenne Name und Nationalität seien ihm aber unbekannt. Nach »drängendem Verhör« durch einen Polizeioberst mit einem sehr langen Namen, der fast nur aus den Buchstaben ö, ü und z fast nur aus den Buchstaben ö, ü und z bestand, hatte er auch zugegeben, daß er sie attraktiv gefunden und am ersten Tag der Reise versucht habe, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Die Frau habe überhaupt nicht geantwortet. Etwas später glaubte er, sie mit einem Mann zusammen gesehen zu haben, und hatte daraus gefolgert, daß sie verheiratet sei. Das einzige, was der Zeuge über das Aussehen des Mannes zu sagen wußte, war, daß er »vermutlich recht groß« sei. Im weiteren Verlauf der
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