Die Tote im Götakanal
prächtiger Mensch. Wir sind sogar vom gleichen Jahrgang, obwohl der unglückliche Ausgang des Feldzuges gegen die Bolschewisten seiner Laufbahn ein frühes Ende setzte. Sie wissen, Beförderungen kommen schnell, solange der Krieg dauert.
Aber nach 1945 war Schluß damit für die armen Kerle. Na, für Jentsch war das offensichtlich nicht so schlimm. Er war ja Intendantur -Offizier, die waren beim Wiederaufbau nicht mit Gold zu bezahlen.
Er kriegte einen Direktorposten in einer Lebensmittelfirma in Osnabrück, glaube ich mich zu erinnern.
Nun, wir hatten verschiedenes gemeinsam, viel Unterhaltungsstoff. Die Zeit verging wie im Fluge. Major Jentsch hatte im Kriege einiges mitgemacht. Einiges, wie gesagt. Neun Monate lang, vielleicht sind’s auch elf gewesen, na, jedenfalls war er Verbindungsoffizier zur Blauen Division gewesen. Sie erinnern sich an die Blaue Division? Die spanischen Elitetruppen, die Franco gegen die Bolschewisten eingesetzt hatte. Und eins muß ich sagen… hier zu Hause scheren wir oftmals Italiener und Griechen und Spanier und andere… ja, also, wir scheren die über einen Kamm, aber ich muß, wie gesagt, sagen, diese Burschen in der Blauen Division, die konnten wirklich…«
Martin Beck wandte den Kopf und starrte verzweifelt auf den Fernsehschirm, der jetzt einen Filmbericht über die Rübenernte in Schonen brachte. Die Frau Oberst lauschte hingerissen den Worten des Sprechers und schien ihre Umwelt völlig vergessen zu haben.
»Ich verstehe«, brüllte Kollberg. Dann holte er Luft und fuhr mit bewundernswerter Lautstärke und Zielrichtung fort: »Wir sprachen über das Fotografieren, und Sie, Herr Oberst, wollten gerade etwas dazu sagen. Von einem Zufall…«
Mehr als eine Minute lang war der Rüben-Anpflanzungsexperte alleinherrschend im Raum. Es erschien geradezu wie eine Wohltat.
»Was? Ach so, ja… Was für ein Zufall. Major Jentsch war ein geradezu begeisterter Fotograf.
Und dabei sah und hörte er nicht besser als wir. Er fotografierte pausenlos. Und erst vor wenigen Tagen schickte er uns einen ganzen Packen Bilder von der Reise. Sehr liebenswürdig, finden Sie nicht? Muß ihn eine Menge gekostet haben. Ausgezeichnete Bilder. Prächtige Erinnerungen auf jeden Fall.«
Martin Beck stand auf und verringerte das Lautsprechervolumen ein wenig. Das geschah instinktiv in Selbstverteidigung, ohne daß er eigentlich wußte, was er tat. Die Frau Oberst starrte ihn verständnislos an.
»Wie? Ja, natürlich… Missan, willst du mal die Bilder holen, die wir aus Deutschland bekommen haben? Ich möchte sie den Herren hier zeigen.«
Martin betrachtete die Frau, die Missan genannt wurde und sich! jetzt mühsam aus dem Fernsehstuhl erhob, mit zusammengezogenen Augenbrauen.
Es waren etwa fünfzehn Farbabzüge im Format 12 mal 12 cm, die der Herr Oberst zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand hielt. Martin Beck und Kollberg standen vornübergebeugt, jeder an einer Seite von ihm.
»Hier sind also wir… und dort sehen Sie Frau Major Jentsch, ja, ja, und hier sehen Sie meine Frau…
und hier bin ich selber. Dies Bild wurde auf der Kommandobrücke aufgenommen. Es ist der erste Tag, und ich plaudere gerade mit dem Kapitän, wie Sie vielleicht sehen. Und hier… meine Augen lassen leider ziemlich nach… Willst du mir das Vergrößerungsglas geben, Liebling…«
Der Oberst putzte das Vergrößerungsglas lange und sorgfältig, bevor er die Untersuchung fortsetzte.
»Ja, genau, hier sehen Sie Major Jentsch selber und dann mich und meine Frau… Die Frau Major muß das Bild geknipst haben. Das sieht auch etwas verschwommener aus als die anderen. Und hier beinahe das gleiche Bild noch mal, nur aus einem anderen Blickwinkel, will mir scheinen. Und… Lassen Sie mal sehen… Die Dame, mit der ich mich hier unterhalte, hieß Frau Liebeneiner, auch eine Deutsche. Aß im übrigen auch an unserem Tisch, eine äußerst nette und freundliche Dame. Aber leider etwas älter. Verlor ihren Mann bei El Alamein.«
Martin Beck blickte schärfer hin und sah eine uralte faltige Tante in geblümtem Kleid und rosa Hut.
Sie stand aufrecht bei dem einen Rettungsboot, mit einer Kaffeetasse in der einen Hand und einem Stückchen Gebäck in der anderen.
Die Untersuchung schritt voran. Das Motiv blieb gleichartig. Martin Beck bekam allmählich Schmerzen in der Wirbelsäule. Er hätte von nun an die Frau Major Jentsch aus Osnabrück überall auf der Welt wiedererkannt.
Auf dem Mahagonitisch vor dem Oberst lag das
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