Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
Daher galt Anna auch ihr erster Gedanke, als es darum ging, mehr über das Dienstmädchen der Wittgens herauszufinden.
Tatsächlich wusste die Freundin einiges zu erzählen. Greta stammte angeblich aus Kassel und war mit ihren Brotherrschaften nach Marburg gekommen. Denjenigen, die das Mädchen kannten, war es unverständlich, warum die Wittgens an Greta festhielten. Sie galt als unhöflich und barsch, meist schlecht gelaunt und zog ein Gesicht, als wollte sie Milch zum Gerinnen bringen. Man munkelte, dass sie und Katharina Wittgen sich nicht gut verstünden und dass sie sich oft in Weidenhausen herumtreibe – was immer sie dort tue. Vielleicht habe sie dort einen Liebsten, mutmaßte Anna, wohl in der Erwartung auf einen handfesten Skandal, aber Sophie winkte ab. Es war nicht wichtig, was das Dienstmädchen in seiner freien Zeit trieb. Entscheidend war, was im Haus der Wittgens vor sich ging, und dabei konnte ihnen Greta hoffentlich weiterhelfen.
Der Schuhmacher, der gegenüber der Wittgens sein Geschäft besaß, hatte ihnen erzählt, dass Greta das Haus bereits am Morgen verlassen hatte. Nachdem sie zweimal durch die halbe Stadt gelaufen waren, ohne das Mädchen zu entdecken, hatte Anna vorgeschlagen, es an der Weidenhäuser Brücke zu versuchen. Wenn Greta nach Weidenhausen gegangen sein sollte, konnte sie ihnen dort nicht ausweichen. Sie hatten Papillon mitgenommen und vertrieben sich die Zeit des Wartens mit Stöckchen werfen. Doch nach dem fünfzigsten Wurf hatte auch das quirlige Hündchen genug und grub lieber in der Uferböschung nach Bisamratten, während sein Frauchen verdrossen von einem Fuß auf den anderen trat und mit den Zähnen klapperte. Die Kälte zog an diesem Tag mit eisigem Wind durch das Lahntal, als wollte sie daran erinnern, dass der Winter nicht mehr fern war.
»Wenn sie nicht durch den Fluss schwimmen will, muss sie hier vorbeikommen«, bemerkte Sophie, bemüht, sich ihren Verdruss nicht anhören zu lassen. Leise seufzend schlug sie die Arme um die Schultern und wanderte ein paar Schritte am Ufer entlang, während sie nach dem Hündchen Ausschau hielt. Vermutlich hatten sie sich einfach geirrt und es war eine dumme Idee gewesen, hierher zu kommen. Die wenigen Leute, die vorbeigehastet waren, hatten fragend zu ihnen hinübergelinst und sich wahrscheinlich gewundert, was bei allen Seelen sie bei diesem Wetter hier unten taten. Stöckchen werfen.
Sophie klaubte einen feuchten Ast aus dem Gras und hob ihn über den Kopf. »Papillon! Hier her!«, rief sie in der Hoffnung, dass das Hündchen nicht in irgendeinem Rattenbau festsaß. »Komm her! Stöckchen!«
»Sophie, ich glaube, da kommt sie«, hauchte Anna und fasste ihren Arm. »Dort!«
Sophie ließ den Stock sinken und starrte in den grauen Dunst, der nun auf der anderen Seite der Brücke eine eingemummte Gestalt entließ. Eine Frau, die den Mantel fest um Kopf und Schultern gezogen hatte und einen Korb unter den Arm geklemmt trug.
»Verzeihung!«, rief Sophie und sprang auf den Weg. »Warte mal einen Moment!«
Die Gestalt schrak zurück, schien kurz zu überlegen, das Weite zu suchen. Dann gab sie einen schnaubenden Laut von sich und richtete sich auf. »Fräulein Dierlinger! Müssen Sie mich so erschrecken?«
»Erschrecken? Aber … « Erst jetzt fiel Sophie auf, dass sie immer noch den Knüppel in der Hand trug. Betreten warf sie den Stock zur Seite. »Entschuldige, ich wollte dich nicht ängstigen. Ich habe nur ein paar Fragen an dich.«
»Und dazu müssen Sie mir wie ein gemeiner Räuber auflauern?« Greta lachte nervös und fasste den Korb enger. Schmutzige Wäschestücke lagen darin, halb mit einem Tuch abgedeckt. »Warum kommen Sie nicht zu meinen Herrschaften ins Haus?«
»Weil man dort nicht mit mir sprechen will.« Sophie wechselte einen kurzen Blick mit Anna und holte ihre Geldbörse aus der Tasche. Klimpernd wog sie sie in der Hand. »Ich bin bereit zu bezahlen, wenn du mir meine Fragen beantwortest. Es wird niemand erfahren.«
Greta antwortete nicht gleich, aber Sophie konnte sehen, wie es hinter der Stirn der Dienstmagd arbeitete. Anna hatte wahrscheinlich recht gehabt mit ihrer Vermutung, dass Doktor Wittgen das Mädchen nicht gut bezahlte. Und dass Gretas Loyalität ebenso käuflich war wie ihr Gewissen.
»Gut. Aber machen Sie schnell«, nickte sie schließlich. Ihre Finger spielten nervös mit dem geflochtenen Griff des Korbs. »Was wollen Sie wissen?«
»Ich habe gehört, dass Studenten bei den Wittgens ein-
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