Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
und ausgegangen sind«, versuchte Sophie sich die Fragen in Gedächtnis zu rufen, die Julius ihr aufgetragen hatte. »Weißt du etwas darüber?«
»Studenten?« Greta stieß einen verächtlichen Laut aus. »Von ›mehreren‹ weiß ich nichts. Würde mich aber auch nicht wundern.«
»Dann war es nur einer?«, mischte sich Anna ein. »Kennst du ihn?«
Greta zögerte kurz, als ringe sie mit sich, wie viel sie preisgeben wollte. »Natürlich kenne ich den«, sagte sie entschlossen. »Der war oft im Haus … immer wenn der Doktor auf Reisen war. Er reist sehr oft und ist viel weg. Da langweilt sich die junge Frau Doktor natürlich … wenn ihr versteht, was ich meine.«
»Hm, ja, sicher.« Sophie spürte, wie ihre Ohren heiß wurden bei dem Gedanken daran. Sie räusperte sich. »War er denn nur … bei der Frau Doktor, oder auch bei Helene?«
Greta schüttelte den Kopf. »Helene hatte damit nichts zu tun. Ich glaube, sie wusste davon, aber sie hat ihrem Vater nichts gesagt. Dabei hat der Kerl auch ein Auge auf sie geworfen. Immerhin war sie ja bildhübsch, sicher hübscher als die Frau Doktor … Die Frau Breuer hat das der Frau Doktor auch vorgeworfen.«
»Was hat sie ihr vorgeworfen?«
»Na, dass die Frau Doktor eifersüchtig gewesen sei auf die Helene.«
»Hätte sie denn Grund dafür gehabt?«
»Nein, die Helene war keusch wie eine Nonne.« Greta verzog den Mund, zögerte wieder. »Die Frau Doktor hätte es mal auch besser so gehalten. Dann hätte sie nicht die Schwierigkeiten, die sie jetzt hat.«
Sophie horchte auf. »Schwierigkeiten?«
»Na, Folgen, die man nicht haben sollte, wenn man verheiratet ist und seinen Mann kaum sieht. Sie verstehen, was ich meine?«
Sophie riss die Augen auf und nickte schnell. Ihr Blick flog zu Anna, die ebenso schockiert schien wie sie. Katharina Wittgen war schwanger? Das Ganze nahm eine Wendung, mit der sie nicht gerechnet hatte. »Und wie … Ich meine, sie hat ja einen Mann … «
»Sie wird das Kind nicht bekommen«, Greta zuckte mit den Schultern. »Der Doktor wird es niemals erfahren.«
»Wie will sie das machen?«, mischte sich Anna ein. Sie hatte die Hände in die Taille gestützt. »Sie kann das Kind doch nicht einfach wegmachen!«
»Sie haben keine Ahnung, oder?« Es klang nicht herablassend, lediglich wie eine Feststellung. »Natürlich kann man ein Kind einfach wegmachen lassen.«
Und wie macht man das?, lag es Sophie bereits auf der Zunge, aber sie verkniff sich die Frage im letzten Moment. Nicht dass jemand glaubte, sie wollte es wissen, weil sie selbst in unschickliche Schwierigkeiten geraten sei.
Gretas fleischige Lippen formten ein flüchtiges Schmunzeln, als habe sie erraten, was Sophie durch den Kopf ging. »Sie war am Frauenberg. Sie wissen doch, dort oben … «
»Was ist mit dem Frauenberg?«, hakte Anna ungeduldig ein.
»So etwas erzählt man Mädchen wie Ihnen nicht, oder?« Greta schnaubte abfällig, rückte aber näher heran und senkte die Stimme. »Auf dem Frauenberg steht eine Ruine, eine Burg, die die edle Tochter unserer Heiligen Elisabeth einmal gebaut hat. Doch unweit der Burg steht eine armselige Kate. Dort haust die Hexe. Sie ist viele Hundert Jahre alt, mit gebeugtem Rücken und fauligen Zähnen, die stinken wie die Hölle, und wenn sie dich anhaucht, holt dich die Pest. Sie hat einen schwarzen Kater, der Funken sprüht, wenn man über sein Fell streicht. Ein Geschenk des Teufels, dem sie ihre Seele verkauft hat. Sie gibt ihm die Seelen der Kinder, die sie gefressen hat. Sie kocht sie bei lebendigem Leib und frisst sie dann. Sie hat Zauberkräfte und kann die tapfersten Soldaten in Kröten verwandeln und das Korn faulen lassen. Oder aber Tränke brauen, die einer schwangeren Frau das Kind aus dem Leib reißen.«
»Kann sie auch Gift machen?«, hakte Sophie nach, die sich hartnäckig weigerte, dass sich in ihrem Geist Bilder der gehörten Grausamkeiten formten.
Greta nickte bedeutungsschwer. »Natürlich. Sie kann ein Gift brauen, das einen kräftigen Mann wie vom Blitz getroffen umkippen lässt. Und noch weitaus Schlimmeres.«
»Warum unternimmt niemand etwas gegen diese Bestie?«, flüsterte Anna. Sie schauderte sichtlich.
»Vermutlich, weil niemand als Kröte enden will«, mutmaßte Sophie bemüht scherzhaft und legte eine Hand auf Annas Schulter. »Vermutlich ist sie gar nicht so schlimm, sonst hätte man sie längst verjagt.« Die logische Erklärung, wie sie ihr Vater angebracht hätte. Obwohl ihr Verstand dem folgen
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