Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
Lächeln kroch über seine Lippen. »Vater. Wie nett, Sie zu sehen.«
»Spar dir die Heuchelei.« Stadtrat Laumann hatte seinen besten Zwirn angelegt, ganz offensichtlich waren die drei – die beiden Begleiter kannte Julius nur dem Gesicht nach – auf dem Weg zur Ratssitzung. »Hast du meine Nachricht gestern nicht erhalten?«
»Ich bedaure. Wahrscheinlich hat die gute Berte die Dringlichkeit nicht verstanden.« In Gedanken durchflog Julius die letzten Tage und erinnerte sich tatsächlich an einen Brief seines Vaters, den er jedoch in aller Eile ungeöffnet unter die Papiere geschoben hatte. »Worum ging es denn?«
»Zweierlei.« Sein Vater hatte das Kinn leicht gehoben, nicht weit, dass es auffallen würde, sondern gerade so, dass auch ein größerer Mann als Julius das Gefühl haben musste, er spreche von oben herab mit ihm. »Du hast gerade mit dem Dienstmädchen der Wittgens gesprochen.«
»Ist das verboten?« Julius hob eine Augenbraue, ein schwacher Versuch, vor den beiden anderen Ratsherren nicht wie ein gemaßregelter Junge da zu stehen.
»Ich dachte, ich hätte deutlich gemacht, dass du die Familie Wittgen in Ruhe lassen sollst.« Die Bestimmtheit, die in der Stimme seines Vaters mitschwang, machte einen drohenden Tonfall überflüssig. »Zum Zweiten warte ich auf deinen Bericht.«
Julius hob eine Augenbraue. »Ich wusste nicht, dass das so eilig sein sollte.«
»Es ist eilig. Hast du ihn?«
»Natürlich nicht.«
»Gut, damit habe ich gerechnet.« Laumann fischte einen zusammengefalteten Zettel aus der Innentasche seines Rocks und hielt ihn Julius hin. »In fünf Minuten erwarte ich dich damit im Rathaus.«
Julius starrte auf das Stück Papier, ohne Anstalten zu machen, es anzunehmen. »Was ist das?«
»Ein Entwurf für Ihren Bericht«, mischte sich einer der anderen Ratsherren ein, ein kugelrunder Mann mit einem flachen Hut, unter dessen Rand sich feine Schweißperlen gebildet hatten und ihm ins Gesicht rannen. »Bezüglich Ihrer Untersuchung der Bisswunden, die Sie … «
»Er kann lesen«, unterbrach der alte Laumann brüsk und packte Julius’ Unterarm, um ihm den Zettel in die Hand zu drücken. »Es muss nur unterschrieben werden. Fünf Minuten, also spute dich. Meine Herren, wir werden erwartet.«
Die beiden anderen Ratsherren lüfteten im Gehen ihre Hüte zum Abschied, dann waren sie auch schon im Gewühl der Marktbesucher verschwunden, und Julius blieb allein zurück mit dem fremden Bericht, der sein eigener werden sollte. Langsam wandte er sich ab und faltete das Blatt auseinander, um es im Gehen zu lesen. Es war eine klare, gestochen scharfe Schrift, nicht die Schrift eines Arztes, aber was er da las, deckte sich grob mit seinen Untersuchungsergebnissen. Offenbar hatte sich schon vor ihm jemand das Schaf angesehen. Der erste Teil beschäftigte sich mit dem Holzsammler Adam, doch im zweiten Teil ging es um das Schaf. Seine Augen überflogen die Ausführungen und landeten beim Resümee, das etwas abgesetzt stand:
›Hier ist zu folgern, dass es sich bei dem Tier um einen Wolf bestialischer Größe handelt. Aufgrund seines abnormen Verhaltens und der über alle Maßen ausgeprägten Aggressivität ist das Tier als eine besondere Gefährdung der Marburger Bürger und der Bevölkerung des Umlands einzuordnen. Die Entsendung einer tüchtigen Gesellschaft von Jägersmannen samt Hunden und Gewehren ist hiernach dringend anzuraten und erforderlich.‹
Julius ließ das Papier sinken und blieb stehen. Einen fleißigen Beamten in Kassel kümmerte es wahrscheinlich kaum, wer den Bericht in Wahrheit geschrieben hatte. Im Grunde waren seine Erkenntnisse belanglos, man missbrauchte nur seine Unterschrift für die Wolfsmär. Sein Vater hatte wahrscheinlich geahnt, dass er bei ihm auf Granit gebissen hätte, und hatte deshalb Wachtmeister Schmitt vorgeschickt. Jemanden, dem Julius bislang vertraut hatte.
Julius’ Hand schloss sich um das Papier, ballte es zu einem kleinen Klumpen zusammen, ehe er sich auf den Weg zur Wachstube machte. Wenn man ihn schon benutzte, dann wollte er wenigstens wissen, wozu.
*
Julius erwischte den Wachtmeister bei einem Päuschen. Als er hineinplatzte, hatte sich Schmitt eine Wurststulle zurechtgelegt und war gerade dabei, die schweren Beamtenfüße auf dem Schreibtisch in eine bequeme Position zu hieven. Zu Julius’ Bedauern gab es kein Geräusch, als er den Bericht neben die Stulle auf den Schrifttisch schleuderte, aber die Geste reichte aus, um den Wachtmeister
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