Die Tote im Ritz - Ein Fall fuer Detective Joe Sandilands
von Jahren in einer Stadt, die er in Schwarz und Grau, Ruß und Nebel wahrnahm, hatten in Joe einen unstillbaren Hunger nach dem heilenden Grün von Feldern und Hecken geweckt. Er wollte sich diesen Augenblick des Entzückens nicht von Bills Vorurteilen verderben lassen, ungeachtet, wie gerechtfertigt sie waren. »Ja, das war es«, erwiderte er daher schlicht. »Und wenn es sein müsste, würde ich es wieder tun.«
Er ignorierte den ungläubigen Blick des Sergeants.
Sie schlenderten auf den Künstler zu. Orlando bemerkte sie, konzentrierte sich aber weiter auf seine Staffelei, seine gesamte Aufmerksamkeit auf seine Arbeit gerichtet. Als sie näher kamen, nahm er den Pinsel von der Leinwand und trat einen Schritt zurück. »Ich fange es nie ganz ein«, sagte er. »Jedes Jahr versuche ich aufs Neue, das Blau dieser Glockenblumen zu kreieren, aber es ist nichts zu machen. Verdammt frustrierend! Malen Sie auch?«
»Nein«, erwiderte Joe. »Aber ich sehe mir gern Bilder an.« Er schaute Orlando über die Schulter, bereit, etwas Höfliches und Unverbindliches zu äußern. Es war immer schwer, die richtigen Worte zu finden und nicht beleidigend zu klingen, wenn man es mit den Anstrengungen eines begeisterten Amateurs zu tun hatte. Heutzutage gab es keine Regeln mehr, so schien es Joe. Der sich rasch ändernde Zeitgeist - Kubismus, Fauvismus, Dadaismus, Surrealismus - hatte die Öffentlichkeit - und Joe - verschreckt und unsicher gemacht, wie man das, was man sah, interpretieren sollte. Eine Situation, die Maler ausnutzen konnten. Es war allzu leicht, sich hinter einem leisen, wissenden »Oh, aber ich frage mich, ob Sie das Bild wirklich verstanden haben? Sie kennen sich doch sicher im Ordurismus aus, oder? Das ist der letzte Schrei! Als ich in Montmartre war …« zu verstecken. Joe versuchte, Schritt zu halten. Er besuchte Galerien und Ausstellungen, lernte das Vokabular der neuesten Trends. Einmal stand er mit offenem Mund neben seiner Schwester, als sie, eine zitternde Flamme der sinnlichen Begierde, einen Großteil des Vermögens ihres Ehemannes in den Galerien der Cork Street ließ.
Er sah Orlandos Bild an und versuchte, sich die Kommentare der beiden ältlichen Onkel vorzustellen, die die Aufgabe auf sich genommen hatten, diesen ungehobelten, jungen Schotten zu zivilisieren, als er nach dem Tod seines Vaters zu ihnen geschickt worden war. In den langen Ferien dieser sonnigen edwardianischen Jahre vor dem Krieg hatte Joe viele Stunden in ihrer Gesellschaft verbracht, war durch Museen und Ausstellungen geschlendert, hatte gelegentlich die Oper und das Theater und - zu seinem größten Entzücken - das Varietee besucht, und diese Stunden in ihrer Gesellschaft hatten seinen Geschmack unauslöschlich geprägt. Aber er war sich immer bewusst, dass Harold und Samuel tief im Herzen dem viktorianischen Zeitalter angehörten, geformt und gefesselt von den Traditionen einer eisernen Generation. Joe fühlte sich dagegen von den kulturellen Triebkräften herausgefordert und erregt und war sich bewusst, dass sie sich über die törichte Akzeptanz eines früheren Zeitalters hinaus zu allen Seiten ihren Weg bahnten.
Die höflichen, vorbereiteten Phrasen blieben jedoch unausgesprochen.
»Das gefällt mir«, sagte Joe. »Das gefällt mir sogar sehr.« Er ließ den Blick über die frei fließenden Linien schweifen, über die leuchtenden Farbtupfer, die in einen geheimnisvollen, dunklen Wald übergingen. »Das ist die Essenz von England. Das werde ich sehen, wenn ich auf meinem Totenbett die Augen schließe.«
Orlando drehte sich um und sah ihn an. Seine Aufmerksamkeit war endlich geweckt. »Dann fehlt noch etwas«, meinte er unsicher. »Ich hatte es nicht in paradiesischen Begriffen gedacht …« Er wählte einen dünnen Pinsel aus dem Krug zu seinen Füßen und tunkte ihn in Farbe. Mit wenigen, raschen Strichen eines Könners verwandelte er das Bild, dachte Joe, der verzaubert zusah.
Nun sah man eine Figur unter dem Blätterdach des Waldes eilends herauslaufen, den Mund vor Entsetzen aufgerissen, eine Hand nach hinten in die düstere Tiefe weisend.
»Das ist schon besser«, konstatierte Orlando. »So etwas wie das Paradies gibt es nicht. Vor allem nicht im Umkreis von zwanzig Meilen um King’s Hanger. Da lauert immer irgendwo eine Schlange. Ein Luzifer. Irgendetwas Entsetzliches in den Wäldern. Ich denke, das ist mehr nach Ihrem Geschmack, Herr Polizist?«
»Auf die Gefahr weiteren Spottes hin, will ich ehrlich sein und
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