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Die Tote in der Bibliotek

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Titel: Die Tote in der Bibliotek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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gespielt. Sicher, sie war kein schlechter Mensch, aber sie war auch nicht entfernt das, wofür Mr. Jefferson sie gehalten hat. Seltsam, denn Mr. Jefferson kann man so leicht nichts vormachen. Er hat sich selten in jemandem geirrt. Aber wenn eine junge Frau im Spiel ist, setzt der Verstand eben aus. Sehen Sie, die junge Mrs. Jefferson, deren Zuneigung ihm immer so wichtig war, hat sich in diesem Sommer stark verändert. Das hat ihm schwer zu schaffen gemacht. Er mochte sie sehr, verstehen Sie? Für Mr. Mark hatte er nie viel übrig.»
    «Und trotzdem war er ständig mit ihm zusammen?», warf Sir Henry ein.
    «Ja, aber nur wegen Miss Rosamund, also Mrs. Gaskell. Sie war sein Augapfel. Er hat sie über alles geliebt. Mr. Mark war für ihn immer nur Rosamunds Mann.»
    «Und wenn Mr. Mark wieder geheiratet hätte?»
    «Dann wäre Mr. Jefferson wütend gewesen, Sir.»
    Sir Henry zog die Brauen hoch. «So stark hätte er reagiert?»
    «Ja, wenn er es sich auch nicht hätte anmerken lassen.»
    «Und wenn Mrs. Jefferson wieder geheiratet hätte?»
    «Das hätte ihm ebenso wenig gefallen, Sir.»
    «Bitte fahren Sie fort, Edwards.»
    «Ja, also, was ich sagen wollte: Mr. Jefferson fiel auf die junge Frau herein. Ich habe das bei meinen Herren oft erlebt. Es überkommt sie wie eine Krankheit. Sie möchten das Mädchen beschützen, es abschirmen, es mit Wohltaten überschütten, aber in neun von zehn Fällen kann das Mädchen sehr gut für sich selbst sorgen und hat ein sicheres Gespür für die große Chance.»
    «Sie meinen also, Ruby Keene war eine Intrigantin?»
    «Nun ja, Sir, sie war noch ziemlich unerfahren – sie war ja noch so jung –, aber sie hatte durchaus das Zeug dazu, sie hätte sozusagen nur richtig in Schwung kommen müssen! Noch fünf Jahre, und sie wäre Expertin auf diesem Gebiet gewesen!»
    «Ich bin froh, Ihre Meinung über sie zu hören, das hilft mir sehr. Nun meine nächste Frage: Erinnern Sie sich, ob das Thema Adoption einmal zwischen Mr. Jefferson und seiner Familie besprochen wurde?»
    «Da wurde nicht viel besprochen, Sir. Mr. Jefferson hat seinen Entschluss bekannt gegeben und keinen Widerspruch geduldet. Das heißt, er ist Mr. Mark über den Mund gefahren, der sich recht unverblümt geäußert hat. Mrs. Jefferson hat ohnehin nicht viel gesagt – sie ist ja eine sehr ruhige Dame –, sie hat ihn nur eindringlich gebeten, nichts zu überstürzen.»
    Sir Henry nickte. «Und sonst? Wie hat das Mädchen sich verhalten?»
    «Triumphiert hat sie, Sir – so würde ich es nennen», erwiderte der Diener sichtlich angewidert.
    «Aha – triumphiert, sagen Sie? Sie hatten keinen Grund zu der Annahme, Edwards, dass» – er suchte nach einer passenden Formulierung – «dass – äh – ihre Gefühle anderweitig gebunden waren?»
    «Mr. Jefferson wollte sie ja nicht heiraten, Sir. Er wollte sie nur adoptieren.»
    «Gut, lassen wir das ‹anderweitig› beiseite. Aber die Frage bleibt.»
    «Hm, ja, einen Vorfall hat es gegeben, Sir, bei dem ich zufällig Zeuge war.»
    «Sehr erfreulich. Erzählen Sie.»
    «Wahrscheinlich hat es gar nichts zu bedeuten, Sir, aber einmal, als die junge Frau ihre Handtasche geöffnet hat, ist eine kleine Fotografie herausgefallen. Mr. Jefferson hat sofort danach gegriffen und gesagt: ‹Nanu, Kleines, wer ist denn das?› Es war ein Bild von einem jungen Mann, dunkelhaarig, ziemlich zerzaust, mit schlampig gebundener Krawatte. Miss Keene hat so getan, als wüsste sie von nichts. ‹Ich weiß nicht, Jeffie›, hat sie gesagt, ‹keine Ahnung. Wie kommt das bloß in meine Handtasche? Ich hab’s jedenfalls nicht reingetan!›
    Mr. Jefferson konnte sie natürlich nichts vormachen, dafür war die Geschichte zu fadenscheinig. Er war wütend. Seine Stirn hat sich in Falten gelegt, und er hat ziemlich schroff gesagt: ‹Na, na, Kleines, du weißt doch ganz genau, wer das ist.› Da hat sie ihre Taktik schnell geändert und eine erschrockene Miene aufgesetzt. ‹Ach ja›, hat sie gesagt, ‹jetzt erkenne ich ihn. Er kommt manchmal hierher, ich hab auch schon mit ihm getanzt. Wie er heißt, weiß ich nicht. Er muss das Foto heimlich in meine Tasche gesteckt haben, dieser Idiot. Diese Jungen sind so was von albern!› Sie hat den Kopf zurückgeworfen und gekichert und schnell das Thema gewechselt. Aber es klang nicht sehr glaubwürdig. Und so recht geglaubt hat Mr. Jefferson es wohl auch nicht. Er hat sie danach ein paar Mal sehr scharf angesehen, und wenn sie weg gewesen war, hat er sie

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