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Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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gibt so viele andere Spuren, Hufe, Hundepfoten und was weiß ich noch alles. Oder es gab sie.« Er schwieg, während der Schnee vor dem Fenster vorbeiwirbelte.
    »Du glaubst, daß er irgendwo in der Gegend wohnt.«
    »Die Subway-Station ist keine Durchgangsstation, sondern eine Endstation. Menschen, die dort aussteigen, wohnen entweder in der Upper West Side oder wollen in ein Restaurant, ins Museum oder zu Veranstaltungen im Park.«
    »Und deswegen glaube ich nicht, daß Gault dort wohnt«, sagte ich. »In einer Subway-Station wie der in der 81. Straße sieht man die gleichen Menschen immer wieder. Der Beamte, der Gault eine Strafe aufgebrummt hat, hätte ihn doch wiedererkannt, wenn er dort wohnen und häufig mit der Subway fahren würde.«
    »Guter Einwand«, sagte Wesley. »Es sieht so aus, als wäre Gault mit der Gegend, in der er die Frau umgebracht hat, vertraut gewesen. Aber es gibt keinen Hinweis darauf, daß er dort irgendwelche Zeit verbracht hat. Wie also konnte er vertraut damit sein?« Er drehte sich um und sah mich an.
    Im Zimmer brannte kein Licht, und er stand im Schatten vor einem marmorierten Hintergrund, grauer Himmel und weißer Schnee. Wesley sah dünn aus, die dunkle Hose hing ihm um die Hüfte, der Gürtel war ein Loch enger geschnallt.
    »Du hast abgenommen«, sagte ich.
    »Ich fühle mich geschmeichelt, daß du es bemerkst«, sagte er sarkastisch.
    »Wirklich gut kenne ich deinen Körper nur in nacktem Zustand«, sagte ich sachlich. »Und dann ist er schön.«
    »Und nur dann ist mein Gewichtsverlust vermutlich von Bedeutung.«
    »Nein, ist er nicht. Wieviel hast du abgenommen und warum?«
    »Ich weiß es nicht. Ich wiege mich nie. Und manchmal vergesse ich ganz einfach zu essen.« »Hast du heute schon was gegessen?« fragte ich. »Nein.«
    »Dann zieh deinen Mantel an.«
    Wir spazierten Hand in Hand entlang der Parkmauer, und ich konnte mich nicht erinnern, ob wir jemals zuvor unsere Zuneigung in der Öffentlichkeit kundgetan hatten. Aber die wenigen Menschen auf der Straße konnten unsere Gesichter nicht deutlich sehen, und es interessierte sie auch nicht. Einen Moment lang war mir leicht ums Herz, und das Fallen des Schnees, der auf Schnee traf, hörte sich an, als fiele Schnee auf Glas.
    Wir gingen lange, ohne zu reden, und ich dachte an meine Familie in Miami. Wahrscheinlich würde ich sie später noch einmal anrufen, und zum Dank würde ich mir weitere Klagen anhören müssen. Sie waren unzufrieden, weil ich nicht getan hatte, was sie wollten, und wann immer das der Fall war, wollte ich sie um alles in der Welt loswerden, wie einen miesen Job oder ein Laster. Am meisten sorgte ich mich um Lucy, die ich zeit meines Lebens liebte wie eine Tochter. Mutter konnte ich es nicht recht machen, und Dorothy mochte ich nicht.
    Ich schmiegte mich an Benton und hakte mich bei ihm unter. Er langte mit der anderen Hand herüber und nahm meine, als ich mich an ihn drückte. Wir trugen beide Baseballkappen, und wegen der Schirme konnten wir uns nicht küssen. Wir blieben in der zunehmenden Dunkelheit auf dem Gehsteig stehen, drehten unsere Kappen um wie Gangster und lösten das Problem.
    »Ich wünschte, ich hätte eine Kamera«, sagte Wesley lachend.
    »Nein, das wünschst du dir nicht.«
    Ich setzte die Mütze wieder richtig herum auf und überlegte, wie es wäre, wenn jemand uns beide fotografierte. Ich erinnerte mich daran, daß wir Außenseiter waren, und der Moment des Glücks war vorüber. Wir gingen weiter.
    »Benton, das kann nicht ewig so weitergehen«, sagte ich. Er schwieg.
    »In deiner wirklichen Welt bist du ein hingebungsvoller Ehemann und Vater, und dann treffen wir uns irgendwo.«
    »Wie geht es dir dabei?« sagte er. Die Angespanntheit war wieder in seiner Stimme.
    »Vermutlich wie den meisten Menschen, wenn sie eine Affäre haben. Ich fühle mich schuldig, beschämt, ängstlich, traurig. Ich habe Kopfschmerzen, und du nimmst ab. Und dann kriegen wir uns gegenseitig wieder rum.«
    »Bist du eifersüchtig?« fragte er.
    Ich zögerte. »Ich diszipliniere mich, keine Eifersucht zu empfinden.«
    »Man kann Gefühlen nicht mit Disziplin beikommen.« »Natürlich kann man das. Wir tun das die ganze Zeit, wenn wir mit Fällen wie diesem konfrontiert sind.« »Bist du eifersüchtig auf Connie?« fragte er noch einmal.
    »Ich habe deine Frau immer gemocht und halte sie für eine reizende Person.«
    »Bist du eifersüchtig auf ihre Beziehung zu mir? Es wäre nur zu verständlich, wenn

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