Die Tote ohne Namen
Gläser.
»Setzen Sie sich, Eugenio«, sagte Wesley. »Trinken Sie einen Schluck mit uns. Und erzählen Sie uns von Scarpetta.«
Er zuckte die Achseln. »Alles, was ich Ihnen erzählen kann, ist, daß er zum erstenmal vor ein paar Wochen zu uns kam. Ich weiß, daß es das erste Mal war. Ehrlich gesagt, er war ein ungewöhnlicher Gast.«
»Inwiefern?« fragte Wesley.
»Er sah ungewöhnlich aus. Hellrotes Haar, dünn, ungewöhnlich gekleidet. Sie wissen schon, langer schwarzer Ledermantel und italienische Hosen und dazu ein T-Shirt.« Er sah zur Decke hinauf und zuckte wieder die Achseln. »Können Sie sich das vorstellen, gute Hosen und Schuhe von Armani zum Beispiel und dazu ein T-Shirt. Es war nicht einmal gebügelt.«
»War er Italiener?« fragte ich.
»O nein. Manche Leute mag er hinters Licht geführt haben, aber mich nicht.« Eugenio schüttelte den Kopf und goß sich ein Glas Wein ein. »Er war Amerikaner. Aber vielleicht konnte er italienisch, weil er aus dem italienischen Teil der Speisekarte auswählte. So hat er auch bestellt. Auf italienisch, nicht auf englisch. Er sprach sehr gut.«
»Wie hat er bezahlt?« fragte Wesley. »Immer mit Kreditkarte.«
»Und der Name auf der Karte war Scarpetta?« fragte ich.
»Ja, ich bin ganz sicher. Kein Vorname, nur das Initial K. Er hat gesagt, sein Name sei Kirk. Klingt nicht gerade italienisch.«
Er lächelte und zuckte die Achseln.
»Und war er freundlich?« sagte Wesley, während ich hektisch versuchte, diese Information zu verdauen.
»Manchmal war er sehr freundlich, manchmal nicht. Er hatte immer etwas zu lesen dabei. Zeitungen.«
»Kam er allein?«
»Ja, immer.«
»Was für eine Kreditkarte hatte er?« fragte ich.
Eugenio dachte nach. »American Express. Goldcard, glaube ich.«
Ich sah Wesley an.
»Hast du deine dabei?« fragte er mich.
»Ich nehme es an.« Ich holte meine Brieftasche heraus. Die Karte war nicht da. »Das verstehe ich nicht.« Ich spürte, wie mir das Blut bis in die Haarwurzeln stieg.
»Wo hast du sie zum letztenmal benutzt?« fragte Wesley.
»Ich weiß es nicht.« Ich war wie vor den Kopf gestoßen. »Ich benutze sie nicht sehr oft. Vielerorts wird sie nicht mehr angenommen.«
Wir schwiegen. Wesley trank einen Schluck Wein und blickte sich um. Ich hatte Angst und war verwirrt. Ich verstand nicht, was das alles bedeutete. Warum sollte Gault hierherkommen und sich für mich ausgeben? Wenn er im Besitz meiner Kreditkarte war, woher hatte er sie? Und während ich mir noch diese Frage stellte, dämmerte mir ein schrecklicher Verdacht. Quantico.
Eugenio war gegangen, um sich um unsere Bestellung zu kümmern.
»Benton«, sagte ich, und das Herz schlug mir bis zum Hals. »Ich habe die Karte letzten Herbst Lucy gegeben.«
»Als sie mit ihrem Praktikum bei uns anfing?« Er runzelte die Stirn.
»Ja. Ich habe sie ihr gegeben, nachdem sie die Universität verlassen hatte und unterwegs zur Academy war. Ich wußte, daß sie hin- und herfahren würde, um mich zu besuchen. In den Ferien wollte sie nach Miami. Ich habe ihr meine American-Express-Karte gegeben, damit sie Flugtickets und Fahrkarten bezahlen kann.«
»Und du hast die Karte seitdem nicht mehr gesehen?« Er sah mich zweifelnd an.
»Ehrlich gesagt, ich habe überhaupt nicht mehr daran gedacht. Normalerweise benutze ich MasterCard oder Visa, und ich glaube, daß die Amex-Card Ende Februar ausläuft. Vermutlich wollte ich sie Lucy bis dahin überlassen.«
»Du solltest sie anrufen.«
»Das werde ich tun.«
»Denn wenn Lucy sie nicht hat, Kay, dann liegt die Vermutung nahe, daß Gault sie gestohlen hat, als im letzten Oktober in ihrer Abteilung eingebrochen wurde.«
Das war auch meine Befürchtung.
»Was ist mit deinen Abrechnungen? Sind dir in den letzten Monaten irgendwelche seltsamen Beträge aufgefallen?«
»Nein. Ich erinnere mich nicht daran, daß im Oktober und November überhaupt Abrechnungen kamen. Sollen wir die Karte sperren lassen oder sie benutzen, um ihm auf die Spur zu kommen?«
»Ihm damit auf die Spur zu kommen, wird ein Problem sein.« »Wegen Geld.«
Wesley zögerte. »Ich werde schauen, was ich tun kann.«
Eugenio kam mit unserer Pasta. Er versuchte, sich an mehr zu erinnern.
»Ich glaube, das letzte Mal war er am Donnerstagabend hier.« Er zählte es an den Fingern ab. »Vor vier Tagen. Er mag das Bistecca und das Carpaccio. Hm, warten Sie. Einmal hat er Funghi e carciofi gegessen, ein anderes Mal nur Capellini. Ohne Soße. Bloß mit ein bißchen
Weitere Kostenlose Bücher