Die Tote ohne Namen
interessiert.«
Wir gingen weiter. »Es gibt einfach nicht genug Leute, all die Fragen zu stellen, auf die wir Antworten brauchen«, sagte ich.
»Wir brauchten ein ganzes Polizeidezernat. Vielleicht das gesamte FBI.«
»Können wir überprüfen, ob jemand, auf den seine Beschreibung paßt, in der Nähe des Dakota gesehen wurde?« fragte ich.
»Himmel, er könnte dort wohnen«, sagte Wesley voll Bitterkeit. »Bislang war Geld für ihn nie ein Problem.«
Um die Ecke des Museum of Natural History war die schneebedeckte rosa Markise eines Restaurants namens Scaletta zu sehen. Es überraschte mich, daß es geöffnet hatte und gut besucht schien. Ein Paar in Pelzmänteln steuerte darauf zu und ging die Treppe hinunter, und ich überlegte, ob wir es ihnen nicht gleichtun sollten. Ich wurde allmählich hungrig, und Wesley mußte nicht noch mehr Gewicht verlieren.
»Wie war's?« fragte ich.
»Unbedingt. Ist Scaletta ein Verwandter von dir?« fragte er scherzhaft.
»Glaub ich nicht.«
Wir kamen bis an die Tür, wo uns der Oberkellner davon in Kenntnis setzte, daß das Restaurant geschlossen war.
»Es sieht aber nicht geschlossen aus«, sagte ich. Ich war plötzlich erschöpft und wollte nicht länger herumlaufen.
»Aber es ist geschlossen, Signora.« Er war klein, hatte eine beginnende Glatze und trug einen Tuxedo mit leuchtendrotem Kummerbund. »Es handelt sich um eine geschlossene Gesellschaft.«
»Wer ist Scaletta?« fragte Wesley.
»Warum wollen Sie das wissen?«
»Es ist ein interessanter Name, dem meinen nicht unähnlich sagte ich.
»Und wie heißen Sie?«
»Scarpetta.«
Er musterte Wesley und schien verwirrt. »Ja, natürlich. Aber ist er heute abend nicht mitgekommen?«
Ich starrte ihn verständnislos an. »Wer ist nicht mitgekommen?«
»Signor Scarpetta. Er war eingeladen. Tut mir leid, ich wußte nicht, daß Sie zu ihm gehören... «
»Eingeladen?« Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Meinen Namen gab es nur selten. Ich war nie einem Scarpetta begegnet, nicht einmal in Italien.
Der Kellner zögerte. »Sie sind nicht mit dem Scarpetta verwandt, der häufig zu uns kommt?«
»Welchem Scarpetta?« Ich wurde unruhig.
»Ein Mann. Er war in letzter Zeit sehr oft hier. Ein sehr guter Gast. Er war eingeladen zu unserem Weihnachtsfest. Sie sind also nicht seine Gäste?«
»Erzählen Sie mir mehr von ihm«, bat ich.
»Ein junger Mann. Er gibt viel Geld aus.« Der Oberkellner lächelte.
Ich spürte, daß Wesleys Interesse geweckt war. »Können Sie ihn beschreiben?« fragte er.
»Wir haben heute viele Gäste. Und morgen ist wieder normal geöffnet... «
Wesley zog diskret seine Dienstmarke aus der Tasche. Der Mann sah sie gelassen an.
»Selbstverständlich.« Er war höflich, aber nicht furchtsam. »Ich werde Ihnen einen Tisch suchen.«
»Nein, nein«, sagte Wesley. »Das müssen Sie nicht. Aber wir müssen mehr über diesen Mann erfahren, der behauptet, er heiße Scarpetta.«
»Kommen Sie mit.« Er hielt uns die Tür auf. »Wir können uns im Sitzen unterhalten. Und wenn Sie sitzen, können Sie auch gleich essen. Ich heiße Eugenio.«
Er führte uns zu einem Tisch mit rosa Decke in einer ruhigen Ecke, weit entfernt von den Gästen in Partykleidung, die überall an den Tischen saßen, einander zuprosteten, sich unterhielten und lachten, mit den Gesten und im Tonfall von Italienern.
»Wir haben heute nicht alles, was auf der Speisekarte steht«, entschuldigte sich Eugenio. »Ich kann Ihnen Costoletta di vitello alla griglia oder Polio al limone mit Capellini primavera oder Rigatoni con broccoli bringen.«
Wir bestellten alles und dazu eine Flasche Dolcetto d'Alba, einen meiner Lieblingsweine, der jedoch schwer zu finden war.
Eugenio ging den Wein holen. Meine Gedanken drehten sich im Kreis, und Angst legte sich mir aufs Herz.
»Sprich es nicht aus«, sagte ich zu Wesley. »Ich werde mich hüten, jetzt schon irgend etwas auszusprechen.« Er brauchte es auch nicht. Das Restaurant war so nahe an der Subway-Station, wo Gault gesehen worden war. Es mußte ihm aufgrund des Namens aufgefallen sein. Der Name mußte ihn an mich erinnert haben, und an mich dachte er wahrscheinlich sowieso eine Menge.
Eugenio kehrte sofort mit unserem Wein zurück. Er entfernte die Folie und hantierte mit dem Korkenzieher, während er sprach. »Jahrgang 1979. Ein sehr leichter Wein. Einem Beaujolais nicht unähnlich.« Er zog den Korken heraus und schenkte mir einen Schluck ein.
Ich nickte, und er füllte unsere
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