Die Tote ohne Namen
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»Ich unterbrach ihn. »Benton, warum reitest du darauf herum?«
»Weil ich mich den Tatsachen stellen und sie irgendwie in den Griff bekommen will.«
»Na gut, dann sag mir eines. Als ich mit Mark zusammen war, als er dein Kollege und bester Freund war, warst du da jemals eifersüchtig?«
»Auf wen?« Er versuchte, witzig zu sein.
»Warst du jemals eifersüchtig auf meine Beziehung zu Mark?« Er antwortete nicht sofort. »Ich würde lügen, wenn ich nicht zugeben würde, daß ich dich schon immer attraktiv gefunden habe. Überaus attraktiv«, sagte er schließlich.
Ich dachte zurück an die Zeiten, als Mark, Wesley und ich uns getroffen hatten. Ich suchte nach einem Hinweis, einer Bestätigung für das, was er gerade gesagt hatte. Und fand keinen. Aber während ich mit Mark zusammen war, da war ich einzig und allein auf ihn fixiert gewesen.
»Ich war ehrlich«, fuhr Wesley fort. »Jetzt laß uns wieder über dich und Connie sprechen. Ich muß es wissen.«
»Warum?«
»Ich muß wissen, ob wir drei jemals wieder Zusammensein können. Wie früher, als du bei uns zu Abend gegessen und uns besucht hast. Meine Frau hat angefangen, sich zu erkundigen, warum du nicht mehr kommst.«
»Du willst sagen, daß sie Verdacht geschöpft hat.« Ich spürte Paranoia in mir aufsteigen.
»Ich will sagen, daß sie nach dir gefragt hat. Sie mag dich. Und jetzt, da wir beide zusammenarbeiten, wundert sie sich, daß sie dich seltener sieht statt häufiger.«
»Das leuchtet mir ein«, sagte ich.
»Was sollen wir tun?«
Ich war bei Benton zu Hause gewesen und hatte ihn im Umgang mit seinen Kindern und seiner Frau beobachtet. Ich erinnerte mich an die Berührungen, das Lächeln und die Anspielungen auf Dinge, von denen ich nichts wußte. Aber damals war es anders gewesen, denn ich war verliebt in Mark, der jetzt tot war.
Ich ließ Wesleys Hand los. Taxis fuhren vorbei, wirbelten Schnee auf, und hinter Wohnungsfenstern glühten warme Lichter. Der Park schimmerte gespenstisch weiß im Schein großer eiserner Lampen.
»Das kann ich nicht«, sagte ich.
Wir gingen weiter die Central Park West entlang.
»Es tut mir leid, aber ich glaube einfach nicht, daß ich mit dir und Connie Zusammensein kann«, fügte ich hinzu.
»Du hast doch eben gesagt, daß du deine Gefühle disziplinieren kannst.«
»Du hast leicht reden, aber ich habe niemanden außer dir in meinem Leben.«
»Irgendwann wirst du zu uns kommen müssen. Auch wenn wir unsere jetzige Beziehung abbrechen, wirst du dich meiner Familie stellen müssen. Wenn wir weiterhin zusammenarbeiten, wenn wir Freunde sein wollen.«
»Jetzt stellst du mir ein Ultimatum.«
»Du weißt, daß ich das nicht tue.«
Ich schritt schneller aus. Nachdem wir zum erstenmal miteinander geschlafen hatten, war mein Leben hundertmal komplizierter geworden. Natürlich, ich hätte es besser wissen müssen. Ich hatte mehr als einen armen Narren auf meinem Autopsietisch gesehen, der sich mit jemandem eingelassen hatte, der verheiratet war. Die Menschen vernichteten sich selbst und andere. Sie wurden geistig krank und gerichtlich verfolgt.
Wir kamen an der Tavern on the Green vorbei. Ich blieb stehen und betrachtete das Dakota Building zu meiner Linken, wo John Lennon vor Jahren ermordet worden war. Die Subway-Station war nahe bei Cherry Hill, und ich fragte mich, ob Gault den Park verlassen und hierhergekommen war. Ich stand da und starrte das Gebäude an. An jenem Abend, dem 8. Dezember, war ich vom Gericht nach Hause gefahren, als ich im Radio hörte, daß Lennon von einem Nobody erschossen worden war, der ein Exemplar von Der Fänger im Roggen bei sich trug.
»Benton«, sagte ich. »Hier hat Lennon gelebt.«
»Ja«, sagte er. »Dort drüben an dem Eingang wurde er erschossen.«
»Besteht die Möglichkeit, daß Gault das im Kopf gehabt hat?«
»Das habe ich bisher nicht in Betracht gezogen.« »Sollten wir es in Betracht ziehen?«
Er sah schweigend zum Dakota Building hinüber mit seinen sandgestrahlten Backsteinen, dem Gußeisen und dem Kupferdach.
»Wir sollten womöglich alles in Betracht ziehen«, sagte er.
»Gault war ein Teenager, als Lennon erschossen wurde. In Gaults Wohnung in Richmond haben wir überwiegend klassische Musik und Jazz gefunden. Ich erinnere mich nicht, daß er Platten von Lennon oder den Beatles hatte.«
»Wenn er sich mit Lennon beschäftigt hat, dann nicht aus musikalischen Gründen«, sagte Wesley. »Gault hätte der Sensationsgehalt des Verbrechens
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