Die Tote ohne Namen
nehmen Sie Milch und Zucker?«
»Ja.«
Sie lächelte. »Das Ja bezieht sich vermutlich auf beides. Dr.
Scarpetta, mein Gefühl sagt mir, daß Sie Ihren Kaffee schwarz trinken.«
»Stimmt«, sagte ich und betrachtete sie mit wachsender Neugier.
»Und wahrscheinlich essen Sie auch keine Plätzchen.«
»Wahrscheinlich nicht.« Ich zog meinen Mantel aus und setzte mich auf einen Stuhl.
Commander Penn trug ein dunkelblaues Kostüm mit Messingknöpfen und eine weiße Seidenbluse mit hohem Kragen. Sie brauchte keine Uniform, um imponierend auszusehen, aber sie wirkte weder streng noch kalt. Ihr Auftreten hatte nichts Militärisches an sich, sondern war würdevoll, und ich meinte, in ihren haselnußbraunen Augen Sorge zu entdecken.
»Es sieht so aus, als hätte Mr. Gault sein Opfer erst im Museum kennengelernt«, begann sie.
»Interessant, daß Sie das sagen. Wir kommen gerade vom Museum«, sagte ich.
»Jemand vom Aufsichtspersonal sah eine Frau, auf welche die Beschreibung des Opfers paßt, in der Eingangshalle herumlungern. Außerdem wurde beobachtet, wie sie mit einem Mann sprach, der anschließend zwei Eintrittskarten kaufte. Weiterhin fielen sie aufgrund ihrer sonderbaren Erscheinung mehreren Museumswärtern auf.«
»Warum, glauben Sie, hat sie sich in der Eingangshalle des Museums aufgehalten?« fragte ich.
»Die sich an sie erinnern, hatten den Eindruck, daß sie obdachlos war. Ich vermute, daß sie sich aufwärmen wollte.«
»Werden Penner nicht hinausge worfen?« fragte Marino.
»Wenn möglich, ja.« Sie hielt inne. »Auf jeden Fall, wenn sie Ärger machen.«
»Was vermutlich nicht auf sie zutrifft«, sagte ich.
Commander Penn nahm ihre Kaffeetasse. »Offensichtlich verhielt sie sich ruhig und unauffällig. Sie schien sich für die Saurierskelette zu interessieren. Sie ging immer wieder um sie herum.«
»Hat sie mit jemandem gesprochen?« fragte ich.
»Sie hat gefragt, wo die Damentoilette ist.«
»Das läßt darauf schließen, daß sie noch nie zuvor dort war«, sagte ich. »Sprach sie mit Akzent?«
»Daran erinnert sich niemand.«
»Dann scheint es unwahrscheinlich, daß sie Ausländerin war«, sagte ich.
»Gibt es eine Beschreibung ihrer Kleidung?« fragte Marino.
»Sie trug einen kurzen Mantel, der entweder schwarz oder braun war. Eine Baseballmütze der Atlanta Braves, marineblau oder schwarz. Vermutlich hatte sie Jeans und Stiefel an. An mehr scheint sich niemand zu erinnern.«
Wir schwiegen, hingen unseren Gedanken nach.
Ich räusperte mich. »Und weiter?«
»Dann sah man sie mit einem Mann reden. Die Beschreibung seiner Kleidung ist interessant. Er soll einen überaus auffälligen Mantel getragen haben. Er war schwarz, geschnitten wie ein langer Trenchcoat - die Art, wie sie die Gestapo im Zweiten Weltkrieg getragen hat. Die Museumsleute glauben außerdem, daß er Stiefel anhatte.«
Ich dachte an die ungewöhnlichen Schuhabdrücke am Tatort und an den schwarzen Ledermantel, den Eugenio erwähnt hatte.
»Die beiden wurden an mehreren Stellen im Museum gesehen, und sie waren in der Sonderausstellung über Haie«, fuhr Commander Penn fort. »Und der Mann hat mehrere Bücher im Museumsladen gekauft.«
»Weiß man, was für Bücher?« fragte Marino.
»Bücher über Haie, darunter eines, das sehr plastische Fotos von Menschen enthielt, die von Haien angegriffen wurden. «
»Hat er für die Bücher bar bezahlt?« fragte ich.
»Ja, leider.«
»Dann verlassen sie das Museum, und er bekommt in der Subway ein Strafmandat«, sagte Marino.
Sie nickte. »Es interessiert Sie gewiß, wie er sich ausgewiesen hat.«
»Ja, heraus damit.«
»Der Name auf dem Führerschein lautete Frank Benelli, Italiener aus Verona, dreiundreißig Jahre alt.«
»Verona?« fragte ich. »Das ist allerdings interessant. Meine Vorfahren stammen aus Verona.«
Marino und Commander Penn sahen mich kurz an. »Wollen Sie damit sagen, daß der Irre mit italienischem Akzent gesprochen hat?« fragte Marino.
»Der Beamte erinnert sich daran, daß er nur gebrochen englisch sprach. Er hatte einen starken italienischen Akzent. Trifft das auf Gault nicht zu?«
»Gault wurde in Albany, Georgia, geboren«, sagte ich. »Nein, er hat keinen italienischen Akzent. Was nicht heißt, daß er ihn nicht imitieren kann.«
Ich erzählte ihr, was Wesley und ich am Abend zuvor bei Scaletta herausgefunden hatten.
»Hat Ihre Nichte bestätigt, daß Ihre Kreditkarte gestohlen wurde?« fragte sie.
»Ich habe Lucy bislang nicht
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