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Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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still. Ich war noch nie mit Marinos Wagen gefahren, und er schien mir ein unübersehbares Symbol für seinen männlichen Stolz.
    »Es waren ein paar Briefe von Großmutter, Tante Kay und Email von Prodigy«, sagte Lucy schließlich.
    »Von Carrie, meinst du«, sagte Marino.
    Sie zögerte. »Ja.«
    »Was sonst noch?«
    »Geburtstagskarten.«
    »Von wem?«
    »Von denselben Leuten.«
    »Nichts von deiner Mutter?«
    »Nein.«
    »Von deinem Vater?« »Ich habe nichts von ihm.«
    »Ihr Vater starb, als sie noch ein kleines Kind war«, erinnerte ich Marino.
    »Wenn du Lucy geschrieben hast, hast du da deine Adresse angegeben?« fragte er mich.
    »Ja. Sie steht auf meinem Briefpapier.«
    »Ein Postfach?«
    »Nein. Meine persönliche Post kommt zu mir nach Hause. Alles andere ins Büro.«
    »Was willst du herausfinden?« fragte Lucy mit einer Spur Unmut in der Stimme.
    »Okay«, sagte Marino, während er durch die dunkle Landschaft fuhr, »ich sag euch jetzt, was unser Dieb bislang weiß. Er weiß, wo du studierst, wo deine Tante Kay in Richmond und deine Großmutter in Florida lebt. Er weiß, wie du aussiehst und wann du geboren wurdest. Außerdem weiß er von deiner Freundschaft mit Carrie aufgrund der Email.« Er blickte in den Rückspiegel. »Und das ist das mindeste, was diese Kröte von dir weiß. Ich habe die Briefe und anderen Sachen nicht gelesen und weiß nicht, was er noch in Erfahrung gebracht haben könnte.«
    »Sie wußte das meiste«, sagte Lucy ärgerlich. »Sie?« fragte Marino anzüglich. Lucy schwieg.
    Janet sprach leise mit ihr. »Lucy, du mußt drüber wegkommen. Du mußt.«
    »Was sonst noch?« fragte Marino meine Nichte. »Versuch, dich an die kleinsten Dinge zu erinnern. Was war noch in dem Umschlag?«
    »Ein paar Autogramme und alte Münzen. Dinge aus meiner Kindheit, die außer für mich für niemanden einen Wert haben. Wie eine Muschel, die ich am Strand gefunden habe, als ich als Kind mit Tante Kay spazierengegangen bin.«
    Sie dachte nach. »Mein Paß. Und zwei Arbeiten, die ich in der High-School geschrieben habe.«
    Der Schmerz in ihrer Stimme tat mir in der Seele weh, und am liebsten hätte ich sie in den Arm genommen. Aber wenn Lucy traurig war, stieß sie jeden von sich fort. Sie war eine Kämpferin.
    »Warum hast du die in dem Umschlag aufgehoben?« fragte Marino.
    »Irgendwo mußte ich sie doch aufheben«, fuhr sie ihn an. »Es waren meine Sachen, okay? Und wenn ich sie in Miami gelassen hätte, dann hätte meine Mutter sie weggeworfen.«
    »Die Arbeiten, die du in der High-School geschrieben hast«, sagte ich. »Worüber waren die?«
    »Tja, das klingt jetzt wie eine Ironie des Schicksals. Eine der Arbeiten war eine praktische Anleitung zur Erhöhung der Sicherheit von UNIX. Vor allem über Paßwörter, was passieren kann, wenn man ein schlechtes Paßwort auswählt. Über die Chiffrierungs-Subroutinen in C-Bibliotheken -«
    »Worüber war die andere Arbeit?« unterbrach Marino sie. »Gehirnchirurgie?«
    »Woher weißt du das?« antwortete sie schlagfertig.
    »Worüber war sie?« fragte ich.
    »Wordsworth«, sagte sie.
    Wir aßen bei Globe and Laurel, und während ich die Highland-Plaids, Polizeiabzeichen und Bierkrüge betrachtete, die über der Bar hingen, dachte ich unwillkürlich über mein Leben nach. Mark und ich hatten oft hier gegessen, und dann explodierte in London neben ihm eine Bombe auf der Straße. Wesley und ich waren oft hierhergekommen. Dann lernten wir uns besser kennen und ließen uns kaum mehr zusammen in der Öffentlichkeit sehen.
    Wir aßen alle französische Zwiebelsuppe und Tenderloin-Steak. Janet war wie üblich schweigsam, und Marino starrte sie unablässig an und versuchte, sie zu provozieren. Lucy wurde immer wütender auf ihn, und mich überraschte sein Verhalten. Er war kein Dummkopf. Er wußte, was er tat.
    »Tante Kay«, sagte Lucy, »ich möchte das Wochenende bei dir verbringen.«
    »In Richmond?« fragte ich.
    »Du lebst noch dort, oder?« Sie lächelte nicht.
    Ich zögerte. »Ich glaube, im Augenblick ist es am besten, du bleibst, wo du bist.«
    »Ich bin kein Häftling. Ich kann tun und lassen, was ich will.«
    »Natürlich bist du kein Häftling. Ich werde mit Benton darüber sprechen, okay?« Sie sagte nichts mehr.
    »Sagen Sie mir, was Sie von der Sig-9 halten«, sagte Marino zu Janets Busen.
    Sie blickte ihm furchtlos in die Augen. »Da ist mir ein Colt Python mit einem Achtzehn-Zentimeter-Rohr lieber. Ihnen nicht?«
    Die Atmosphäre verschlechterte

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