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Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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dich davor drücken.«
    »Das kann ich nicht machen«, sagte ich. »Es würde nur ein Mordsgeschrei geben, und wenn nicht, wäre es trotzdem scheinheilig. Schließlich liegt mir etwas an Gerechtigkeit.«
    »Meinst du, ich sollte mich mit Doris treffen?« Wir waren jetzt in Richmond, die Skyline des Zentrums ragte vor uns auf.
    Ich betrachtete sein Profil, das sich lichtende Haar, die großen Ohren und das Gesicht, die breiten Hände, unter denen das Lenkrand nahezu verschwand. An das Leben vor Doris konnte er sich nicht mehr erinnern. Ihr Verhältnis hatte vor langer Zeit das Feuer erotischer Leidenschaft verloren und war auf eine Umlaufbahn unverfänglicher, aber langweiliger Stabilität eingeschwenkt. Ich glaubte, daß sie sich getrennt hatten, weil sie Angst davor hatten, alt zu werden.
    »Ich denke, du solltest dich mit ihr treffen«, sagte ich. »Ich soll also nach New Jersey fahren?« »Nein«, sagte ich. »Doris hat dich verlassen. Sie soll herkommen.«

11
    Windsor Farms war dunkel, als wir von der Cary Street einbogen, und Marino wollte nicht, daß ich allein ins Haus ging. Er starrte auf die geschlossene, von seinen Scheinwerfern angestrahlte Garagentür.
    »Hast du die Fernbedienung da?« fragte er.
    »Sie ist in meinem Wagen.«
    »Da gehört sie auch hin, vor allem wenn dein Wagen in der Garage steht und die Tür zu ist.«
    »Wenn du mich, wie ich es wollte, vor dem Haus rausgelassen hättest, könnte ich jetzt die Haustür aufschließen«, sagte ich.
    »Nein. Du gehst den langen Weg nicht mehr allein, Doc.« Er klang autoritär, und ich wußte, daß es keinen Sinn hatte, mit ihm zu diskutieren, wenn er diesen Ton anschlug.
    Ich gab ihm meine Schlüssel. »Du gehst durch die Haustür rein und machst die Garagentür auf. Ich warte hier.«
    Er öffnete seine Tür. »Zwischen den Sitzen steckt eine Flinte.«
    Er zeigte mir eine schwarze Benelli Kaliber zwölf mit einem um acht Schuß erweiterten Magazin. Mir fiel ein, daß Benelli, ein italienischer Waffenfabrikant, auch der Name war, den Gault auf seinem gefälschten Führerschein benutzt hatte.
    »Hier ist der Abzugbügel.« Marino zeigte es mir. »Du mußt nur hier drücken, durchziehen und schießen.«
    »Sind hier Unruhen angesagt, von denen ich nichts weiß?«
    Er stieg aus und verriegelte die Türen.
    Ich kurbelte das Fenster herunter. »Es wäre hilfreich, wenn du den Code meiner Alarmanlage wüßtest«, sagte ich.
    »Ich kenne ihn.« Er ging über den gefrorenen Rasen. »Er lautet DOC.«
    »Woher weißt du das?« fragte ich ihn.
    »Du bist berechenbar«, hörte ich ihn noch sagen, bevor er um die Ecke verschwand.
    Ein paar Minuten später ging die Garagentür auf, das Licht wurde angeschaltet. Ordentlich an der Wand aufgereiht standen Gartengeräte, ein Fahrrad, das ich nur selten benutzte, stand da und mein Wagen. Ich konnte meinen neuen Mercedes nicht ansehen, ohne an den alten zu denken, den Lucy auf dem Gewissen hatte.
    Mein früherer 500 E war elegant und schnell gewesen, mit einem Motor, der teilweise von Porsche entworfen war. Jetzt hatte ich einfach einen großen Wagen. Einen schwarzen S 500, der es wahrscheinlich gerade noch mit einem Sattelschlepper oder einem Traktor aufnehmen konnte. Marino stand neben meinem Auto und sah mich an, als wünschte er, ich würde mich beeilen. Ich hupte, um ihn daran zu erinnern, daß er mich eingeschlossen hatte.
    »Warum schließen mich die Leute dauernd in ihren Autos ein?« fragte ich, als er mich herausließ. »Heute mittag der Taxifahrer und jetzt du.«
    »Weil nichts mehr sicher ist, wenn du frei herumläufst. Ich werde mich im Haus umsehen, bevor ich gehe«, sagte er. »Das ist nicht nötig.«
    »Ich frage dich nicht um Erlaubnis. Ich habe dir nur mitgeteilt, was ich tun werde«, sagte er.
    »Na gut. Nur zu.«
    Er folgte mir ins Haus, und ich ging direkt ins Wohnzimmer und stellte das Gasfeuer im Kamin an. Als nächstes holte ich meine Post und ein paar Zeitungen, die mein Nachbar hatte liegenlassen. Jeder, der mein schönes Backsteinhaus betrachtet hätte, wäre zu dem Schluß gekommen, daß ich über Weihnachten verreist war.
    Zurück im Wohnzimmer, blickte ich mich gewissenhaft um, ob irgend etwas auch nur geringfügig verändert war. Ich fragte mich, ob jemand mit dem Gedanken gespielt hatte, bei mir einzubrechen. Ich fragte mich, ob Augen hierhin und dorthin geschaut hatten, ob dunkle Gedanken mein Haus in Besitz genommen hatten.
    Die Gegend, in der ich wohnte, war eine der wohlhabendsten in

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