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Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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ein Telefon, und ich erschrak. Das Knarzen meines Stuhls ließ mich zusammenfahren. Als ich hörte, daß sich die Aufzugtüren im Flur öffneten, griff ich nach meinem Revolver, saß völlig reglos da und behielt die Tür im Auge, während mein Herz hämmerte. Schnelle, feste Schritte kamen den Flur entlang und wurden lauter. Ich hob den Revolver mit beiden Händen.
    Lucy kam herein.
    »Himmel!« rief ich, den Finger am Abzug. »Lucy, um Himmels willen!« Ich legte die Waffe weg. »Was tust du hier? Warum hast du nicht angerufen? Wie bist du hereingekommen?«
    Sie sah mich und die.38er entgeistert an. »Jan hat mich hergefahren, und ich habe einen Schlüssel. Du hast mir vor Ewigkeiten einen Schlüssel gegeben. Ich habe angerufen, aber du warst nicht da.«
    »Wann hast du angerufen?« Mir war schwindlig. »Vor zwei Stunden. Du hättest mich beinahe erschossen.« »Nein.« Ich versuchte durchzuatmen. »Ich hätte dich nicht beinahe erschossen.«
    »Dein Finger war nicht am Abzugbügel, wo er hätte sein sollen, sondern am Abzug. Ich bin bloß froh, daß es nicht die Browning war. Ich bin bloß froh, daß es nicht eine Waffe war, die nur einen einzigen Handgriff erfordert.«
    »Hör auf, bitte«, sagte ich. Mein Brustkorb schmerzte.
    »Es liegen über fünf Zentimeter Schnee, Tante Kay.«
    Lucy stand unschlüssig in der Tür. Wie üblich trug sie Jeans, Stiefel und Anorak.
    Eine eiserne Hand preßte mein Herz zusammen, ich konnte nur mit Mühe atmen. Ich saß reglos da, sah meine Nichte an, und mein Gesicht wurde eiskalt.
    »Jan wartet auf dem Parkplatz«, sagte sie.
    »Dort draußen wimmelt es vor Reportern.«
    »Es war niemand da. Wie auch immer, wir stehen auf dem kostenpflichtigen Parkplatz gegenüber.«
    »Dort ist mehrmals eingebrochen worden«, sagte ich. »Vor ungefähr vier Monaten gab's dort eine Schießerei.«
    Lucy ließ mich nicht aus den Augen. Sie sah auf meine Hände, als ich den Revolver in meine Tasche steckte.
    »Du zitterst«, sagte sie beunruhigt. »Tante Kay, du bist weiß wie die Wand.« Sie trat näher an meinen Schreibtisch. »Ich bring dich nach Hause.«
    Ich hatte Schmerzen in der Brust und preßte unwillkürlich eine Hand darauf. »Ich kann nicht.« Ich konnte kaum sprechen. Die Schmerzen waren stark, ich bekam kaum mehr Luft.
    Lucy wollte mir beim Aufstehen helfen, aber ich war zu schwach. Meine Hände wurden taub, meine Finger verkrampften sich, ich beugte mich vor und schloß die Augen. Kalter Schweiß brach mir aus. Ich atmete schnell und flach.
    Sie geriet in Panik.
    Ich war mir halb bewußt, daß sie etwas ins Telefon schrie. Ich wollte ihr zu verstehen geben, daß alles in Ordnung sei, daß ich eine Papiertüte brauchte, aber ich brachte kein Wort heraus. Ich wußte, was passierte, aber ich konnte es ihr nicht sagen. Dann wischte sie mir das Gesicht mit einem nassen kalten Lappen ab. Sie massierte meine Schultern, murmelte etwas Beruhigendes, während ich mit trübem Blick auf meine zu Klauen verkrampften Hände in meinem Schoß hinunterstarrte. Ich wußte, was als nächstes geschehen würde, aber ich war zu erschöpft, um dagegen anzukämpfen.
    »Ruf Dr. Zenner an«, brachte ich heraus, während ich neuerlich unerträgliche Schmerzen in der Brust verspürte. »Sie soll hinkommen.«
    »Wohin?« Ängstlich tupfte Lucy mein Gesicht wieder ab. »MCV.«
    »Alles wird gut«, sagte sie. Ich schwieg.
    »Mach dir keine Sorgen. «
    Ich konnte die Finger nicht ausstrecken, und mir war so kalt, daß ich zitterte.
    »Ich liebe dich, Tante Kay«, schluchzte Lucy.

14
    Das Medizinische College von Virginia hatte im Jahr zuvor das Leben meiner Nichte gerettet, denn kein Krankenhaus in der Gegend war besser dafür ausgestattet, Schwerverletzte durch die schlimmsten Stunden ihres Lebens zu bringen. Sie war hierhergeflogen worden, nachdem sie meinen Wagen zu Schrott gefahren hatte, und ich war überzeugt, daß die Schädigung ihres Gehirns eine dauerhafte gewesen wäre, wenn die Ärzte der Traumaabteilung nicht so kompetent wären. Ich war schon oft in der Notaufnahme des MCV gewesen, aber nie zuvor als Patientin.
    Um halb zehn lag ich ruhig in einem kleinen Einzelzimmer im vierten Stock des Krankenhauses. Marino und Janet warteten vor der Tür, Lucy saß an meinem Bett und hielt mir die Hand.
    »Was ist mit CAIN?« fragte ich.
    »Darüber brauchst du jetzt nicht nachzudenken«, erwiderte sie. »Du sollst dich nicht aufregen.«
    »Sie haben mir schon was gegeben, damit ich ruhiger werde. Ich bin

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