Die tote Stadt: Frankenstein 5: Roman (German Edition)
hinaus.
John blieb noch einen Moment lang dort und bewunderte die beiden Kokons. Dann, als er gerade hinausgehen wollte, fiel ihm etwas auf, was auf dem Boden lag, unter einem der Rollstühle, durch die Fußstütze teilweise verbor gen. Er schob den Stuhl zur Seite, ging auf ein Knie und sah ein menschliches Ohr mit der Ohrmuschelhöhlung nach unten auf einer der PVC -Platten liegen. Die Rückseite des Ohrs war glatt und frei von eingerissenem Gewebe, als sei es nie an einem Kopf angewachsen gewesen und daher nie von einem abgetrennt worden, doch dieses eigentümliche Detail fiel John im ersten Moment gar nicht weiter auf.
John hatte, obwohl er schon mehrfach Zeuge dieser Arbeit gewesen war, bisher noch nicht erlebt, dass ein Baumeister beim Gestalten und Weiterverarbeiten auch nur den kleinsten Fitzel menschlichen Gewebes übersehen hatte. Einen Teil eines Körpers ungenutzt zu lassen musste doch gewiss als Ineffizienz gelten.
Als er das Ohr in seiner Hand umdrehte, sah er, dass es sich nicht um bloße Ineffizienz handelte; es erwies sich als etwas noch Schlimmeres. In den Falten und bis in den äußeren Gehörgang hinein befanden sich menschliche Zähne, nicht lose, sondern fest eingebettet – sie wuchsen aus dem Ohr heraus. Diese Ohrmuschel aus Fleisch und Knorpel war kein Überbleibsel von einem der vier Patienten; sie konnte nur etwas sein, was der Baumeister während des Gestaltungs- und Weiterverarbeitungsprozesses hergestellt und dann ... ausgespuckt hatte. Höchstwahrscheinlich war das Ohr mit den Zähnen unabsichtlich erschaffen worden, ebenso, wie die menschlichen Harnwege nicht beschlossen, einen Nierenstein zu bilden, ehe sie ihn hervorbrachten. Das war ein Beweis für eine Fehlfunktion des Baumeisters.
Die einzige Sünde war Ineffizienz, und die schlimmste Ineffizienz war ein Defekt, der zu Fehlfunktionen führte. Im Vergleich dazu erschien Johns Sehnsucht, ein Baumeis ter zu sein und viele Leute aufzufressen, unbedeutend. Schließlich konnte sein Wunsch nie in Erfüllung gehen. Er war, was er war, und er konnte nichts anderes sein. Daher konnte die Erkenntnis seines Verlangens bei ihm nicht zu Fehlfunktionen führen. Dagegen hatte die Fehlfunktion dieses Baumeisters zur Erschaffung dieses makabren Ohrs geführt, das er dann auch noch ausgespuckt hatte, statt das Gewebe für den Auftrag zu verwenden, den er zu erfüllen hatte.
John fühlte sich gleich viel wohler in seiner Haut.
Wahrscheinlich sollte er den Verstoß des Baumeisters melden. Aber es gab keine Vorschrift, die das von ihm verlangte. Höchstwahrscheinlich deshalb nicht, weil Victor es nicht für möglich hielt, dass Baumeister Defekte haben könnten.
Während der Entwicklung war nur bei den Kommunitaristen manchmal etwas schiefgegangen, nämlich dann, wenn sie übereifrig wurden. Und selbst dafür war eine Lösung gefunden worden: Die potenziell Zwanghaften wurden identifiziert und eliminiert, ehe sie den Bienenstock verließen.
Wenn John den Baumeister meldete, würde Schwester Ginger ebenfalls aufgefordert werden, einen Bericht vorzulegen. In diesem Zusammenhang könnte sie eine Anmerkung zu Johns begeisterter Reaktion auf die Arbeit des Baumeisters machen, woraufhin man ihn auffordern würde, sein Verhalten zu erklären.
Er drehte das Ohr immer wieder in seiner Hand um. Er ließ seinen Daumen über die Zähne in der fleischigen Ohrmuschel gleiten.
Er beschloss, den Baumeister besser nicht zu melden.
Bevor er seinen nächsten Auftrag in Angriff nahm, biss er das Ohrläppchen von dem Ohr ab und kaute darauf herum. Ein interessanter Geschmack.
22.
Auf dem Parkplatz des Senders KBOW fragte Deucalion Ralph Nettles, welches der anderen Fahrzeuge ihm gehörte, nachdem Sammy Chakrabarty Mason aus dem umgestürzten Sequoia hervorgelockt hatte und die beiden gemeinsam mit Burt ins Funkhaus zurückgekehrt waren.
Da ihn nicht nur das unvermittelte Verschwinden des tätowierten Riesen aus seinem Studio immer noch beunruhigte, sondern auch, dass er Masons Geländewagen beinah mühelos umgeworfen hatte, zögerte Ralph kurz, bevor er auf einen drei Jahre alten schwarzen Cadillac Escalade deutete.
»Wir fahren zu Ihnen nach Hause und holen die Waffen und die Munition, von der Sie gesprochen haben«, sagte Deucalion. »Geben Sie mir den Wagenschlüssel.«
Ralph beförderte den Schlüssel zutage, zögerte aber, ihn herzugeben. »Äh, ich meine, es ist mein Wagen, also sollte ich fahren.«
»Sie können nicht so fahren wie ich«, sagte der
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