Die tote Stadt: Frankenstein 5: Roman (German Edition)
Riese. »Sie haben gesehen, wie ich mit einem Schritt aus Ihrem Studio direkt auf den Parkplatz gelangt bin? Ich brauchte den Weg nicht zurückzulegen, und ich brauche auch keine Türen zu benutzen. Genauso kann ich fahren. Ich verstehe die Struktur der Realität, die Besonderheiten der Quantenmechanik, die selbst Physiker nicht verstehen.«
»Schön für Sie«, sagte Ralph. »Aber mein Herz hängt nun mal an diesem Escalade. Er ist mein Baby auf Rädern.«
Deucalion nahm ihm den Schlüssel aus der Hand. Da er selbst gesehen hatte, wie der Riese vier von diesen Dingern getötet hatte, die Replikanten hießen, entschied sich Ralph gegen eine Auseinandersetzung.
Das Schneetreiben war dichter geworden und verschleierte alles, wie das Flimmern auf einem Fernsehbildschirm bei schlechtem Empfang. Tatsächlich kam es Ralph fast so vor, als hätte er die Realität hinter sich gelassen und sei mit einem einzigen Schritt in irgendeine Fantasy-Serie im Fernsehen geraten, in der sämtliche Naturgesetze, die er als Ingenieur gut kannte, Gesetze waren, die Deucalion – und vielleicht auch andere – ungestraft brechen konnten. Er mochte Beständigkeit und Dauerhaftigkeit, Dinge, die zu jeder Zeit und an jedem Ort wahr waren, aber er sagte sich, er sollte sich besser auf Turbulenzen gefasst machen.
Er nahm auf dem Beifahrersitz des Escalade Platz, während sich Deucalion hinter das Steuer quetschte. Ralph war kein kleiner Mann, aber neben diesem Fahrer, dessen Kopf die Decke des Geländefahrzeugs berührte, kam er sich wie ein Kind vor.
Als er den Motor anließ, sagte Deucalion: »Leben Sie in einem Haus oder in einer Wohnung?«
»In einem Haus.« Ralph nannte ihm die Adresse.
Deucalion sagte: »Ja, ich weiß, wo das ist. Ich habe mir einen Stadtplan eingeprägt, auf dem die Breitengrade und die Längengrade bis auf die Bruchteile von Sekunden angegeben waren.«
»Warum auch nicht?«, sagte Ralph.
Licht pulsierte in den Augen des Riesen, und Ralph beschloss, seinen Blick von ihnen abzuwenden.
Als Deucalion die Handbremse löste und anfuhr, sagte er: »Leben Sie allein?«
»Meine Frau ist vor acht Jahren gestorben. Sie war der Inbegriff von Vollendung. Ich bin kein so großer Narr zu glauben, das könnte zweimal passieren.«
Deucalion schickte sich an, den Parkplatz in einem weiten Bogen zu verlassen. »Man kann es nie wissen. Es geschehen tatsächlich Wunder.«
Während Deucalion wendete, fiel einen Moment lang kein Schnee, und jede Lichtquelle in dem Sturm wurde wie auf Knopfdruck ausgeschaltet – die Parkplatzbeleuchtung, die Lichter des Senders, die Scheinwerfer –, und die Nacht war von einem tieferen Dunkel als jede andere Nacht, die Ralph jemals gesehen hatte. Dann schneite es wieder. Und Lichter brannten. Aber obwohl sie jetzt zur Ausfahrt auf die Straße gelangt sein sollten, waren sie geradewegs in die Auffahrt von Ralphs Haus eingebogen, das fünf lange Straßenzüge vom Sender entfernt stand.
23.
Als der Sack aufriss, wankte Dagget rückwärts gegen den Waschtisch mit den zwei Becken.
Frost, der die Pistole mit beiden Händen hielt und sie auf den Kokon gerichtet hatte, hätte beinah einen Schuss abgegeben. Er widerstand dem Drang zu feuern, als er sah, was daraus hervorkommen würde.
Nicht einmal in seiner Kindheit hatte Frost dazu geneigt, sich Monster in seinem Kleiderschrank vorzustellen, aber er war auch nie zuvor einem Kokon begegnet, der so groß war wie ein ausgewachsener Mann. Jetzt kam seine aufgestaute Einbildungskraft plötzlich von dem gewohnten nüchternen Pfad ab und begab sich im Galopp auf groteskes Territorium. Er rechnete damit, dass etwas Insektenartiges aus dem aufreißenden Sack herausspringen würde, nichts halb so Attraktives wie ein Monarchfalter, eher irgendeine hybride Kakerlake mit drei Köpfen oder eine Spinne mit dem Gesicht eines fiesen Schweins oder ein Knäuel Schlangen, was all die gleitenden Geräusche erklärt hätte.
Stattdessen kam aus dem Sack eine atemberaubend schöne, nackte junge Frau. Ihr Gesicht und ihr Körper waren derart vollendet, wie Frost es noch nie zuvor gesehen hatte. Sie war eine so makellose Brünette, dass es schien, als sei sie mit einem Bildbearbeitungsprogramm optimiert worden. Ihr Teint hatte nicht den kleinsten Makel aufzuweisen. Ihre glatte und geschmeidige Haut schien vor Gesundheit zu strahlen. Wäre sie in ihrer Nacktheit nicht ganz so provozierend gewesen, wäre selbst ein Atheist auf den Gedanken gekommen, ein Engel sei ihm
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