Die tote Stadt: Frankenstein 5: Roman (German Edition)
sollte ein solches Wesen Grund haben, über seine Möglichkeiten nachzugrübeln? Es konnte alles tun, was es wollte, ohne Todesfolgen für sich selbst, aber mit klaren Todesfolgen für alle, die ihm über den Weg liefen.
Der Gedanke, dieses Ding meditierte versunken, ginge in sich und dächte nüchtern über sein Schicksal nach, entlockte Frost beinah ein Lachen, doch er gab dem Impuls nicht nach, weil das Lachen ein grimmiges, verzweifeltes Kichern gewesen wäre.
Außerdem war er immer noch der Überzeugung, wenn er einen Laut von sich gäbe, würde sich das Geschöpf wieder daran erinnern, dass es ihn verfolgt hatte, und im nächsten Moment würde es sich in der einen oder anderen grässlichen Gestalt auf ihn stürzen. Das Klügste, was er derzeit tun konnte, war stillzuhalten, keinen Mucks von sich zu geben und eine Entwicklung abzuwarten, die er zu seinem Vorteil nutzen könnte.
Er brauchte nicht lange darauf zu warten, dass sich etwas tat. Das Ding begann sich wieder einmal wie ein dickflüssiger Tümpel zu gebärden; es schwappte in der Diele hin und her und produzierte erneut mit gesteigerter Aktivität seine wirbelnden Strömungen.
Frost spannte sich an. Er schob eine Hand in seine offene Jacke und legte sie auf den Griff der Pistole in seinem Schulterhalfter, doch dann zog er seine Hand ohne die Waffe wieder hervor. Der Griff nach der Waffe war eine reine Reflexhandlung. Die Reflexe eines Agenten waren im Allgemeinen zuverlässig, denn sie waren das Ergebnis von Erfahrung, aber in diesem Fall hätte eine solche Reaktion seinen Tod nach sich gezogen.
Der lebende Tümpel – ob sein Leben nun das eines Tieres oder das einer intelligenten Maschine oder beides oder keines von beidem war – schlug gegen die unterste Treppenstufe, schwappte gegen die Haustür und leckte an den Wänden. Die Muster der Strömungen in ihm waren größtenteils so flüssig und geschmeidig wie zuvor, aber da und dort zuckten die Ströme und stotterten kurz, bevor sie wieder wendige Spiralen beschrieben.
Plötzlich tauchte die Hand einer Frau aus dem Tümpel auf, eine Hand in diversen Grautönen mit schwarzen Adern, als sei sie aus Stein gemeißelt und doch lebendig, und sie griff nach der Luft, als sei sie auf der Suche nach etwas, woran sie sich festhalten konnte. Im nächsten Moment tauchten andere Hände aus dem Tümpel auf oder bildeten sich vielmehr aus seiner Substanz. Eine zweite weibliche Hand, schmal und wunderschön geformt, hatte Haut wie Bronze, wie die schimmernde Bronze des heruntergefallenen Kronleuchters, den sich der Schwarm einverleibt hatte. Die Hand eines Mannes, dann eine zweite, eine von beiden mit Haut von der Farbe der glasierten Vasen, die auf dem Tisch in der Diele gestanden hatten, die andere mit normalem Fleisch.
Sämtliche Hände zogen sich zurück und verschmolzen mit dem Tümpel, doch dann schillerte die graue Oberfläche wie Wasser, und ein riesiges Gesicht tauchte darin auf, als sei es direkt unter der Oberfläche, und es maß vielleicht eineinhalb Meter von der Spitze des Kinns bis zur Schädeldecke. Anfangs war dieses Gesicht so ausdruckslos wie das eines steinernen Tempelgottes mit bleichen Kalksteinaugen. Doch tauchte es auf, wurde dreidimensional und nahm die Farbe von Haut an, und Frost sah, dass es zu Daggets Gesicht wurde. Die Augen öffneten sich, aber es waren keine Augen, sondern stattdessen Ovale, die anscheinend aus Braunglas bestanden, wie einst die Kelche des Kronleuchters, die die flammenförmigen Glühbirnen enthielten.
Frost wartete darauf, dass sich die Glasaugen auf ihn richteten, doch sie taten es nicht. Daggets Gesicht löste sich auf und wurde sofort durch ein anderes riesengroßes Gesicht ersetzt: das der wunderschönen Frau, die im Badezimmer aus dem Kokon gestiegen war. Ihre Augen sahen echt aus, hatten jedoch den starren Blick eines Blinden. Das enorme Gesicht bildete sich vollständiger, als Daggets Gesicht es getan hatte, und die Frau schien sich gegen unsichtbare Fesseln zu wehren, schien zu versuchen, sich aus dem Tümpel zu befreien. Ihr Mund wurde groß, öffnete sich wie zu einem Schrei, aber kein Laut kam heraus.
Frost fiel wieder ein, was sie im oberen Stockwerk gesagt hatte, als sie in den Spiegel über dem Waschtisch im Badezimmer geschaut hatte, nachdem die Zähne aus ihrem Mund gekullert waren und sie sich neue hatte wachsen lassen: Ich glaube, mein Baumeister hat diesen Baumeister falsch konstruiert. Während er beobachtete, wie sich das riesige Gesicht
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