Die Tote von Buckingham Palace
er.
»Sind Sie auf dem Weg zu Ihrem Zimmer in der Nähe der Wäschekammer vorübergekommen?«, wollte Narraway wissen.
Edwards wirkte zutiefst betroffen und mied Tyndales Blick ganz bewusst. »Ja, Sir. Ich bin da lang gegangen. Das dürfen wir nich’ – wir sollen außen rum geh’n. Aber ’s war spät, und ich war müde. Es is’ nich’ einfach, dafür zu sorgen, dass alles gleich wieder in Ordnung kommt. Flaschen und Gläser wegräumen, die Zigarrenasche von ’n guten Teppichen abkehren und so weiter. Reinigen, was
schmutzig is’, und rausbringen, was verdorben is’. Ich kann Ihn’n sagen, das is’ nich’ in fünf Minuten getan.«
»Gibt es denn kein weibliches Hilfspersonal?«, fragte Narraway.
Edwards sah ihn bekümmert an. »Doch, natürlich, aber nich’ zu nachtschlafender Zeit. Von mir wird erwartet, dass alles seine Ordnung hat. Alle Spuren müssen beseitigt werden, jedes Möbelstück muss an Ort und Stelle steh’n und alles riechen wie neu, damit die Damen morgens nix von dem mitkriegen, was nachts war.«
Flüchtig fragte sich Pitt, ob sich wirklich auch nur einer der weiblichen Gäste von derlei Äußerlichkeiten hinters Licht führen ließ oder ob ihnen das einfach die Möglichkeit gab, so zu tun, als sei alles in bester Ordnung. Bisweilen gebot es die Klugheit, über gewisse Dinge hinwegzusehen.
»Sie sind also an der Wäschekammer vorübergekommen«, griff er den angesprochenen Punkt wieder auf.
»Ich hab aber nix geseh’n oder gehört«, sagte Edwards rasch.
»Auch nichts gerochen?«, wollte Pitt wissen.
Es fiel Tyndale unübersehbar schwer, nicht einzugreifen.
Edwards biss sich auf die Lippe. »Wieso gerochen?«, fragte er unsicher. »Was hätt’ ich da riechen soll’n? Ach so, Se mein’n …« Er brachte es nicht über sich, das Wort auszusprechen.
»Ja, Blut. In großen Mengen kann man es riechen. Es hat einen süßlichen Geruch mit einer Spur von Eisen. Aber vermutlich würde er durch eine geschlossene Tür nicht nach außen dringen. Die Tür war doch geschlossen, nicht wahr? Oder stand sie etwa ein wenig offen? Versuchen Sie, sich genau zu erinnern.«
»Se war zu«, sagte Edwards, ohne nachzudenken. »Wenn se offen gewes’n wär, hätt ich das geseh’n. Se geht dahin auf, woher ich gekomm’n bin.« Er holte tief Luft. »War se … war se da drin?« Der Schauder, der ihn unwillkürlich überlief, zeigte, dass seine Selbstsicherheit vorgetäuscht war.
»Vermutlich nicht«, sagte Pitt, doch kam ihm im nächsten Augenblick der Gedanke, dass er sich möglicherweise irrte. Mit
größter Wahrscheinlichkeit war die Frau schon tot, als Edwards dort vorübergekommen war, und nach der Menge von Blut zu schließen, musste sie an Ort und Stelle getötet worden sein. Wenn aber Edwards recht hatte und die Tür geschlossen war, als er um zwei Uhr vorüberkam, musste jemand sie in den vier Stunden, bis Dunkeld die Leiche gefunden hatte, geöffnet haben.
Auch Edwards konnte nicht beweisen, dass er wirklich zu Bett gegangen oder in seinem Zimmer geblieben war.
»Vermutlich hat er in Bezug auf die geschlossene Tür gelogen«, sagte Narraway, kaum dass Edwards fort war.
»Der Riegel könnte defekt sein«, gab Pitt zu bedenken. »Wir sehen uns das nachher einmal an, Mr Tyndale.«
»Nein, Sir, der Riegel funktioniert einwandfrei«, sagte dieser. »Ich habe die Tür selbst wieder geschlossen … nachdem … nachdem man die Leiche weggeschafft hat.«
Einer nach dem anderen wurden die übrigen männlichen Angestellten befragt, ohne dass dabei etwas Verwertbares herausgekommen wäre. Keiner hatte die Kleider der Toten gefunden. Tyndale ließ für Pitt und Narraway Tee kommen, den die Wirtschafterin Mrs Newsome zusammen mit Haferplätzchen auf einem Tablett brachte.
Nach der Teepause befragten sie die Kammerdiener der vier männlichen Gäste, und zwar ohne Tyndale, weil er für sie nicht zuständig war. Auch von ihnen erfuhren sie nichts Sachdienliches.
Mrs Newsome brachte erneut Tee und diesmal auch belegte Brote.
»Es muss ein Mann gewesen sein«, sagte Narraway, nahm das letzte mit Roastbeef belegte Brot und biss zerstreut hinein. »Keine Frau würde eine andere auf diese Weise massakrieren, nicht einmal dann, wenn sie die Gelegenheit dazu hätte.«
»Trotzdem sollten wir uns auch die weibliche Dienerschaft vornehmen«, sagte Pitt resigniert. »Irgendjemand sagt hier nicht die Wahrheit. Selbst ein noch so unbedeutender Widerspruch könnte uns weiterhelfen.« Er hätte gern noch
Weitere Kostenlose Bücher