Die Tote von Buckingham Palace
muss geisteskrank sein.«
KAPITEL 2
A ls Elsa Dunkeld erwachte, stand ihre Zofe Bartle mit einem Tablett am Fußende des Bettes. Da sie die Vorhänge bereits zurückgezogen hatte, strömte das Sonnenlicht ins Zimmer. Es dauerte einen Augenblick, bis sie wieder wusste, wo sie war. Sie hatte schlecht geschlafen, von leeren Korridoren geträumt, auf denen sie Menschen suchte, ohne sie zu finden. Stets waren Personen in der Ferne zu sehen gewesen. Wenn sie sich ihnen aber genähert hatte, hatten sie sich ihr zugewandt, und sie war geflohen, weil sie merkte, dass es nicht die waren, die sie suchte, sondern Fremde.
»Guten Morgen, Bartle«, sagte sie und setzte sich langsam auf. Dabei sah sie, dass auf dem Tablett nicht der übliche Morgentee stand, sondern ein vollständiges Frühstück. Zwar hatte sie es nicht ans Bett bestellt, doch vielleicht war es auf diese Weise sogar angenehmer, als alle anderen schon am frühen Morgen sehen zu müssen.
Mit den Worten »Leider is’ heute kein besonders guter Tag, Miss Elsa« stellte die Zofe das Tablett auf den Tisch neben dem Bett. Da sie bei Mrs Dunkeld im Dienst stand, seit diese sieben Jahre zuvor Cahoon geheiratet hatte, kannte sie ihre Pflichten genau. Sie war eine breithüftige Frau von Mitte fünfzig, hatte das Herz auf dem rechten Fleck und einen erfrischenden Humor. Meist behielt sie für sich, was sie dachte, was vermutlich auch ganz gut war.
»Ich nehme nicht an, dass er schlimmer sein wird als der gestrige«, sagte Elsa mit dem Anflug eines Lächelns und strich sich die Haare aus der Stirn. »Eine Woche halten wir das sicher durch.«
»Ich fürchte, das wird sogar viel schlimmer«, sagte Bartle mit finsterer Miene. »Nehmen Se ruhig ers’ ma’ ’n Schluck Tee.« Sie stellte das Tablett auf Elsas Schoß und goss ihr unaufgefordert eine Tasse ein.
»Warum? Hat Mr Dunkeld etwa schlechte Laune?« Kaum hatte sie das gesagt, bedauerte sie ihre offenen Worte. Es wäre besser, ihre Besorgnisse für sich zu behalten.
»Nich’ dass ich wüsste«, antwortete Bartle mit geschürzten Lippen. »Nellie sagt, er is’ ganz groß in Form un’ kümmert sich um alles.«
Diese unverblümte Art zu sprechen war sogar für Bartle ungewöhnlich, und so kam Elsa der Verdacht, etwas könne nicht stimmen. »Wieso denn?«, fragte sie unruhig. »Ist etwas geschehen?« Sie dachte an irgendeine Liebesverwicklung, wobei ihr sogleich Minnie Sorokine einfiel. Minnie, Cahoons Tochter aus erster Ehe, war Ende zwanzig, hochgewachsen, schlank und mit üppigen Formen ausgestattet. Auch wenn sie nicht im herkömmlichen Sinne schön war, schienen Männer ihre Keckheit und einen gewissen Zauber, den sie ausstrahlte, erregender zu finden als regelmäßige Gesichtszüge oder einen makellosen Teint. Die Lebensgier, die sie dahinter vermuteten, wirkte herausfordernd auf sie. Vor acht Jahren hatte sie Julius Sorokine geheiratet, ein knappes Jahr, bevor Elsa Cahoon Dunkelds Frau geworden war. Es schmerzte sie jedes Mal, wenn sie daran dachte, und am liebsten hätte sie es vergessen, doch genau das brachte sie nicht fertig. Sie war zehn Jahre älter als Minnie, hatte aber aus Familienrücksichten nicht früher heiraten können, was sie nicht weiter gestört hatte, da es ohnehin niemanden gab, den sie aufrichtig geliebt hätte. Als sie dann Julius kennenlernte, war es natürlich viel zu spät, und als er auch noch ihr Schwiegersohn wurde, gab es nicht mehr die geringste Hoffnung auf eine Beziehung zwischen ihnen. Lediglich in ihren Träumen konnte sie sich
vorstellen, dass sie ein unendlich besseres Leben hätte führen können als dieses, eines voll Lachen, Leidenschaft, Güte, gemeinsam genossener Freuden, gemeinsam getragener Schmerzen, ein Leben, in dem Liebe die Grundlage gegenseitigen Vertrauens hätte sein können.
Minnie schien von all dem bei Julius nichts gefunden zu haben, sonst hätte sie sich wohl nie und nimmer Hals über Kopf auf eine kurze, aber stürmische Affäre mit dessen Halbbruder Simnel Marquand eingelassen.
»Worum geht es?«, fragte sie Bartle. »Hören Sie auf, mit den Sachen auf der Frisierkommode herumzuspielen, und sagen Sie es mir schon.« Sie nahm einen weiteren Schluck Tee und machte sich auf alles gefasst.
Die Zofe legte die Schildpatt-Haarbürste zurück und sagte mit erkennbarem Zögern: »Letzte Nacht ha’m sich die Herrn auf ihre Weise … amüsiert. Angeblich hat man heute morgen eins von den Flittchen, die dabei war’n, tot aufgefunden, und das ausgerechnet
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