Die Tote von Buckingham Palace
in der Wäschekammer, gleich nebenan.« Sie rümpfte die Nase. Ihr Gesicht drückte Mitgefühl aus. »Ich kann mir nich’ vorstellen, was das dumme Stück da wollte. Aber ich nehm’ an, dass die Ärmsten tun müssen, wofür man se bezahlt.«
»Tot?«, fragte Elsa ungläubig. Fast wäre ihr die Tasse aus der Hand gefallen. »Welche Art Unfall kann man in einer Wäschekammer haben? Sie müssen sich irren.«
»Kein Unfall, Miss Elsa«, erklärte Bartle mit kläglicher Stimme. »Die Polizei is’ da. Deshalb müssen die Herrschaften alle im Bett frühstücken. Der Kronprinz hat verlangt, dass jeder auf’m Zimmer bleiben soll, bis die Sache geklärt is’.«
»Das ist doch lachhaft.« Elsa bemühte sich, den Sinn hinter Bartles Worten zu begreifen. »Keiner von uns würde jemanden umbringen, und bestimmt kann doch niemand unbemerkt in den Palast gelangen.«
»Nein, Ma’am. Das is’ ja grade das Entsetzliche daran«, gab ihr Bartle recht und wartete, bis ihre Herrin die ganze Ungeheuerlichkeit der Situation erfasste.
»Es muss ein Unfall gewesen sein.« Tausend Möglichkeiten schossen ihr durch den Kopf. Wie die drei anderen Damen war sie früh zu Bett gegangen, denn nur auf diese Weise konnten sie so tun, als wüssten sie nichts von der Herrengesellschaft. »Das ist die einzige Möglichkeit. Dafür die Polizei zu holen ist lachhaft.«
»Soll ich Ihnen das grün-weiße Musselin-Kleid rauslegen, Ma’am?«, wollte Bartle wissen.
»Wäre es nicht besser, etwas Gedecktes zu tragen, wenn die Frau tot ist?«, fragte Elsa.
»Das war ’n Flittchen, Ma’am«, erinnerte die Zofe sie. »Außerdem dürfen Se davon eigentlich nix wissen.«
»Sie ist aber nun einmal tot«, beharrte Elsa auf ihrem Entschluss.
Ohne darauf einzugehen, machte sich Bartle daran, das für den Vormittag vorgesehene Kleid herauszulegen. Es war an den Ärmeln sowie auf der Vorderseite mit Spitze besetzt und hatte einen breiten, mit Bändern und Spitze verzierten Kragen. Die freien Enden einer um die Hüfte geschlungenen breiten dunkelgrünen Schärpe fielen auf die oberste Stufe des Rocks, die wie die unterste aus stark gekräuseltem, geblümtem Musselin bestand, während die mittlere aus einfachem grünen Leinen war. Da Cahoon es für selbstverständlich hielt, dass sich seine Frau möglichst schön machte, stellte er ihr bereitwillig Geld für teure Garderobe zur Verfügung. Geheiratet hatte er sie, weil sie richtig aufzutreten verstand, in jeder Situation wusste, was sie zu sagen hatte, und eine glänzende Gastgeberin war. Ihre Abendgesellschaften waren stets große Erfolge, denn sie besaß die unfehlbare Gabe, abzuschätzen, welche Gäste zueinander passten. All diese Eigenschaften ließen ihn, ihren Ehemann, im besten Licht erscheinen, und das war ihm wichtig. Hinzu kam, dass sie sich nie beklagte. Dieser Punkt gehörte zu der stillschweigend zwischen ihnen getroffenen Abmachung, denn letzten Endes war es bei dieser Eheschließung trotz des leidenschaftlichen Auftakts ihrer Beziehung um nichts weiter als das gesellschaftliche Dekorum gegangen.
Mittlerweile waren die Dinge in ein sehr viel ruhigeres Fahrwasser geraten. Dass sie ihn als Frau nicht mehr reizte, schmerzte sie, denn es erschien ihr demütigend, zugleich aber erleichterte es sie, denn sie begehrte ihn ebenfalls nicht mehr, obwohl er klug war und gut aussah. Unbestreitbar bot er ihr ein Leben im Luxus, zu dem auch Reisen und Begegnungen mit ausgesprochen interessanten Menschen gehörten – in erster Linie Männern voll Wagemut und Erfindungsgabe, die im Regierungsauftrag oder als Forschungsreisende im ganzen britischen Weltreich herumkamen.
Es war Elsa bewusst, dass man sie beneidete. Ihr war nicht entgangen, wie es in den Augen anderer Frauen begehrlich glitzerte, wie sie erröteten und wie sich ihre Stimmlage veränderte, wenn sie und Cahoon den Raum betraten. All das hatte sie genossen. Wer möchte nicht besitzen, wonach anderen so unübersehbar der Sinn steht?
Doch trotz allen Wohllebens war sie bei Licht betrachtet selbst dann noch allein, wenn es zu flüchtigen körperlichen Kontakten kam. Sie und Cahoon hatten keine gemeinsamen Träume, nichts, worüber sie miteinander lachen konnten. Sie wusste weder, was ihn kränkte, noch, was in ihm Zärtlichkeit wachrief, und ebenso wenig schien er das von ihr zu wissen. Vor allem aber litt sie darunter, dass er nichts von all dem zu vermissen schien.
Wäre ihr Leben an Julius’ Seite anders verlaufen? Plötzlich kam ihr der
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