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Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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allerdings ebenfalls eine Vergiftung mit den genannten Samenkörnern. Ein Motiv wäre beispielsweise die Befürchtung, er könne der musikalischen Karriere Ihres Sohnes im Wege stehen, weil er ihn lieber als Fabrikanten gesehen hätte.«
    Der Schrei gellte Leo und Walther in den Ohren.
    »Nein! Es war noch schlimmer! Er wollte ihm sagen, dass er gar nicht sein Vater war, dass er keinen weichlichen Musiker gezeugt hatte   – das hat er wörtlich gesagt. Er hätte alles zerstört!«
    Dann war es still.
    »Ich verstehe«, sagte Leo schließlich. »Adrian hätte sich nach solch einer Offenbarung wohl gefragt, ob Sie überhaupt seine Mutter sind.«
    Sie schaute zu Boden.
    »Frau Lehnhardt, Ihr Sohn hat vorhin den Spiegel erwähnt, der sich in Ihrem Besitz befunden haben soll. Der Spiegel war mit den fraglichen Samenkörnern beklebt. Sie hatten damit Zugang zum Gift und besaßen in beiden Fällen ein Motiv. Außerdem sprach Ihr Sohn von einem Chemiekasten und einer Doktorarbeit, über die ich ebenfalls meine Vermutungen habe.« Er erhob sich und schaute sie an. »Ich muss Sie bitten, uns zur weiteren Befragung ins Präsidium zu begleiten.«
    Sie schaute von einem zum anderen. »Was? Wie meinen Sie das? Ich   … ich wollte nur erzählen, wie alles gewesen ist, was ich für Adrian getan habe und dass Gustav und Henriette ihn mir beide   …«
    Nun erst schien sie zu erfassen, worauf das Gespräch abgezielt hatte. »Sie reimen sich das alles zusammen. Sie vermuten und glauben und meinen, dabei wissen Sie gar nichts.«
    Leo schaute sie ruhig an. »Da mögen Sie recht haben, Frau Lehnhardt, wir brauchen weitere Beweise. Eines aber weiß ich genau: Ihr Sohn hat vor einer Stunde versucht, sich am Bahnhof Lichterfelde-West vor einen Zug zu werfen.«
     
    Als sie im Präsidium eintrafen, stellte Leo den Wagen im Lichthof ab. Sie führten die in sich zusammengesunkene Frau in das Gebäude. Um diese Uhrzeit leerte sich die Burg allmählich, doch er hatte Berns und Sonnenschein Bescheid gegeben, damit sie sich bereithielten. Fräulein Meinelt würde länger bleiben, um das Geständnis aufzunehmen.
    Er hatte in der Charité angerufen und sich nach dem Zustand von Adrian Lehnhardt erkundigt. Man habe ihmBeruhigungsmittel verabreicht, er befinde sich in einem stabilen Zustand, lautete die Antwort.
    Sie gingen in ein Besprechungszimmer, wo sich Rosa Lehnhardt apathisch auf den angebotenen Stuhl sinken ließ. Sie hatte kein Wort gesprochen, seit sie von dem Selbstmordversuch ihres Sohnes erfahren hatte, und saß mit gebeugten Schultern und starrem Blick da.
    Leo eröffnete die Befragung. Die Kollegen hielten sich im Hintergrund.
    »Frau Lehnhardt, heute ist der 7.   November 1923, 19.45   Uhr. Wir haben Sie zur Befragung in Sachen des Mordes an Henriette Strauss ins Präsidium vorgeladen. Ihre Aussage, die Sie heute in Ihrem Haus getätigt haben, bedarf noch der Ergänzung.«
    Sie blickte auf. »Ich habe nichts zu sagen. Über meinen Sohn wissen Sie jetzt alles. Ich verlange, dass Sie mich zu ihm lassen, er braucht seine Mutter.«
    Beim letzten Satz zog Leo kaum merklich die Augenbraue hoch, was Frau Lehnhardt nicht zu bemerken schien.
    »Seine Mutter ist tot.«
    Ihre Reaktion kam so rasch, dass Leo nicht ausweichen konnte. Aufzuspringen und ihm ins Gesicht zu schlagen war eine einzige fließende Bewegung, und als Berns und Walther die Frau zurückrissen, zeigte sich schon ein roter Abdruck auf Leos Wange.
    »
Ich
bin seine Mutter! Das bin ich zweiundzwanzig Jahre lang gewesen! Ich habe alles für ihn getan, habe ihn durch die Kinderkrankheiten gepflegt und bei seinen Geigenstunden gesessen, ihn gegen seinen Vater in Schutz genommen   … Meine Schwester war erst für ihn da, als er für sie interessant wurde und kein kleines Kind mehr war! Als sich herausstellte, dass aus ihm ein großer Musiker werden kann!«
    Auf einen solchen Ausbruch hatte Leo gewartet. Solange sie gedankenverloren, beherrscht oder trotzig war, konnte ernichts aus ihr herausholen. Nun aber war sie angreifbar, weil sie aus dem Gefühl heraus reagierte.
    Er griff in die Manteltasche und holte einen Zettel heraus. Dann las er vor:
     
    Der giftige Eiweisskörper Abrin
    und seine Wirkung auf das Blut.
    Inaugural-Dissertation
    zur Erlangung des Grades eines
    Doctors der Medicin
    Kaiserl. Universität zu Dorpat
     
    Die Kollegen sahen sich überrascht an, während Fräulein Meinelt alles mitschrieb.
    »Ich weiß genau, wo diese Schrift zu finden ist, Frau Lehnhardt.

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