Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
In Ihrem Haus. Zusammen mit mehreren Nachschlagewerken, in denen die Aufbereitung von Abrussamen beschrieben wird.«
Sie wollte wieder aufspringen, wurde aber von dem stämmigen Berns festgehalten. »Das durften Sie gar nicht …«
»Oh, doch. Ich musste nicht danach suchen. Jemand hat mir gesagt, wo ich die Schriften finde.«
»Wie …« Dann verlor sie völlig die Beherrschung. »Nein, das kann nicht sein … nicht mein Junge …«
»Im Keller Ihres Hauses befindet sich des Weiteren ein chemischer Experimentierkasten, der seit Jahren nicht benutzt wurde, dafür aber erstaunlich sauber aussieht. Wir werden ihn im Rahmen einer Durchsuchung beschlagnahmen und auf Spuren giftiger Substanzen untersuchen. Außerdem werden wir dabei nach dem Spiegel und der Sprühflasche suchen, in der Ihre Schwester das Rosenwasser aufbewahrt hat. Und falls diese sich irgendwo in Ihrem Haus oder auf dem Grundstück befinden, werden wir sie finden, das schwöre ich Ihnen.«
»Aber mein Junge …«
»Herr Lehnhardt wird noch im Krankenhaus bleiben müssen. Sobald er vernehmungsfähig ist, werden wir ihn befragen. Er hat uns bereits geholfen und wird es wieder tun. Verstehen Sie, er wollte, dass der Tod seiner Tante aufgeklärt wird. Der Tod seiner Mutter dürfte ihm ein noch größeres Anliegen sein.«
Um dreiundzwanzig Uhr verließ Leo endlich das Präsidium. Sie hatten einen Haftbefehl erwirkt, Rosa Lehnhardt war ins Untersuchungsgefängnis überstellt worden. Er war so erschöpft, dass er sich ein Taxi leistete. Beinahe wäre er auf der Strecke vom Alexanderplatz nach Moabit eingeschlafen.
An der Ecke Emdener Straße bezahlte er mit einem dicken Bündel Geldscheine und stieg aus. Der Himmel hatte aufgeklart, wirkte beinahe tröstlich, es waren vereinzelte Sterne zu sehen. Er atmete tief durch und blieb einen Augenblick stehen. Leo fragte sich, ob Adrian Lehnhardt auch etwas vom Trost der Nacht verspürte.
26
DONNERSTAG, 8. NOVEMBER 1923
Leo stand vor dem Spiegel, das Rasiermesser in der Hand.
Er hatte noch lange wachgelegen, weil er an Adrian und Rosa Lehnhardt gedacht hatte, an die ermordete Henriette Strauss, die sterben musste, weil sie sich zuerst gegen ihren Sohn entschieden und dies später bereut hatte.
Heute würden sie den Durchsuchungsbefehl für das Haus der Lehnhardts erwirken und hoffentlich weitere Beweise finden.
Er zog das Rasiermesser mit sicherer Hand über seine Wangen, wobei er die Narbe sorgsam mied.
Als er gestern Abend nach Hause gekommen war, hatten Ilse und die Kinder schon geschlafen. Er verspürte das Bedürfnis nach menschlicher Nähe, der Fall hatte ihn persönlich mitgenommen. Er wischte sich das Gesicht am Handtuch ab, zog das Hemd über und ging in die Küche.
»Leo«, Ilse drehte sich überrascht um. »So früh schon wieder wach? Ich habe dich gar nicht kommen hören.«
»Du bist noch da? Musst du nicht in die Bäckerei?«
»Doch, aber ich wollte dir das Frühstück machen.« Sie zögerte. »Meinst du, ich könnte doch noch bei Frau Dr. Schott nach einer Stelle fragen?«
»Warum? Kannst du nicht mehr bei Kellermann arbeiten?«
»Schon.« Sie biss sich auf die Lippen. »Aber nicht für ewig. Und es reicht auch nicht, um eine Wohnung zu bezahlen.«
Er lächelte. »Sicher. Geh ruhig zu ihr.«
Ilse stellte ihm den Kaffee hin. »Ganz schön spät geworden gestern Abend.«
»Es war wichtig. Ein Selbstmordversuch, eine Festnahme, dann noch das Verhör im Präsidium.«
»Der Giftmord?«
Er nickte. »Wir haben wohl die Täterin. Sie hat … alles zerstört. Die ganze Familie. Und sich selbst.«
Ilse sah ihn prüfend an. »Ich glaube, du solltest heute nach der Arbeit zu Clara gehen.«
»Ich glaube auch.« Er legte ihr kurz die Hand auf den Arm und drückte ihn.
»Ich muss los.« Damit war Ilse aus der Küche verschwunden.
Das Essen für die Kinder stand schon bereit. Leo weckte die beiden und setzte sich mit ihnen an den Tisch. Nach den Ereignissen von gestern wollte er seine Familie um sich haben.
Adrian Lehnhardt hatte den Kopf zur Wand gedreht. Er war unverletzt bis auf einige Schürfwunden, die er sich auf dem Schotter neben den Gleisen zugezogen hatte. Sein nervlicher Zustand jedoch war besorgniserregend. Die Ärzte befürchteten, er könne sich noch einmal etwas antun.
Leo hatte darum gebeten, mit dem Patienten allein gelassen zu werden.
»Ich möchte kurz mit Ihnen sprechen, Herr Lehnhardt.«
»Worüber?« Seine Stimme klang rau. »Was
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