Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
die giftige Lösung hergestellt wurde. Weiterhin suchen wir nach Fingerabdrücken.« Leo legte eine Pause ein, bevor er in den Karton griff und einen in ein Tuch eingeschlagenen rechteckigen Gegenstand herausholte. »Es hat eine Weile gedauert, aber wir haben ihn auf dem Dachboden in einer Hutschachtel gefunden.« Er nahm das Tuch ab und enthüllte einen Spiegel, dessen Rahmen noch zu einem Drittel mit hübschen, rot-schwarzen Samenkörnern beklebt war. »Ihr Neffe«, bei diesem Wort zuckte sie erstmals zusammen, »wird bestätigen, dass es sich um den Spiegel handelt, den Sie von Ihrer Schwester geschenkt bekommen haben.«
Er schaute Frau Lehnhardt abwartend an. Die Beweise waren erdrückend, auch wenn noch einer fehlte.
»Wir haben Ihre Fingerabdrücke genommen und werden sie selbstverständlich mit denen auf diesen Gegenständen abgleichen.«
»Der Spiegel gehört mir, natürlich habe ich ihn angefasst«, erwiderte sie mit verzweifeltem Trotz.
»Dann erklären Sie mir bitte, wozu Sie die Doktorarbeit, das Drogisten-Handbuch und das Werk über Augenheilkunde sowie den Chemiekasten benutzt haben, Frau Lehnhardt.« Leos Stimme wurde schärfer.
»Ich sage nichts mehr«, erwiderte sie.
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Leo meldete sich knapp. Als er auflegte, verspürte er eine tiefe Genugtuung.
»Frau Lehnhardt, das war mein Kollege Sonnenschein.«
Sie rührte sich nicht.
»Er hat mit einigen anderen Beamten Ihren Garten durchsucht. Dort gibt es einen Schuppen, der meist vom Gärtner benutzt wird. Und in der hintersten Ecke, unter einem umgedrehten Blumenkübel, hat man etwas gefunden.«
An ihrem Hals pulsierte eine Ader.
»Eine silberne Sprühflasche. Sie riecht noch leicht nach Rosen.«
Sie aßen zu fünft zu Abend. Ilse hatte irgendwoher Mettwürstchen gezaubert und eine deftige Kartoffelsuppe gekocht. Es war das erste gemeinsame Essen seit langem, und alle wollten wissen, wie Leo den Fall mit der Giftmörderin aufgeklärt hatte.
»Ob es ein Doppelmord war, wissen wir nicht. Es hängt davon ab, ob sie gesteht«, sagte er und nahm sich noch Suppe.
»Kann man es nicht anders nachweisen?«, wollte Georg wissen. »Wenn ihr den Mann ausgrabt und aufschneidet –«
»Georg«, ermahnte ihn seine Tante mit einem strengen Blick auf Marie.
»Schon gut, aber ich meine – da kann man doch eine Menge herausfinden, oder?«
Leo lächelte. Eigentlich war es kein Thema für den Esstisch, aber wenn sein Sohn es so genau wissen wollte … »Ich erkläre es dir nachher, einverstanden? Sonst bekommt Marie Angst.« Es war äußerst fraglich, ob man zwei Jahre nach dem Tod noch Spuren einer Vergiftung der Organe nachweisen konnte.
»Gar nicht wahr«, meldete sich seine Tochter zu Wort. »Ich bin schon groß.«
»Natürlich«, sagte Clara. »Darum hilfst du mir morgen auch im Laden aufräumen, wenn Tante Ilse etwas zu erledigen hat.«
Leo sah seine Schwester fragend an.
Ilse räusperte sich. »Ich schaue einfach mal bei Frau Dr. Schott vorbei. Es kann ja nicht schaden.«
»Tu das.«
Nach dem Essen warf Ilse Leo einen Blick zu. »Geht doch eine Runde spazieren. Die Kinder helfen mir beim Spülen.«
»Danke.« Leo und Clara holten ihre Mäntel. Endlich konnten sie in Ruhe miteinander sprechen.
»Sag mal, ist heute wirklich erst Donnerstag?«, fragte Leo, als sie dicht beieinander die regennasse Emdener Straße entlanggingen. Das Kopfsteinpflaster glänzte schwach im Licht der Laternen.
»Ja, warum?«
»Diese Woche ist viel passiert«, sagte Leo. »Die Geschichte im Scheunenviertel am Montag, dann die Ermittlungen und der Durchbruch gestern, der Selbstmordversuch von Lehnhardt … Ich war heute bei ihm im Krankenhaus. Da stand ich ganz schön hilflos da. Morgen ist schon die Beerdigung, wie ich gehört habe. Er wird dafür aus dem Krankenhaus entlassen. Ich hoffe, er versucht es nicht noch einmal.«
»Es gibt keinen einfachen Trost für ihn«, meinte Clara und hakte sich bei ihm unter. »Nur die Zeit kann helfen. Was hast du ihm denn geraten?«
Er erzählte von Dr. Dahlke und seinem buddhistischen Haus. »Gute Idee.«
Sie liefen ein Stück schweigend nebeneinander her. Irgendwann blieb Clara stehen. Leo drehte sich um. »Was ist?«
»Was ist mit uns?«, fragte sie. »Wir reden über Straßenkämpfe und Giftmorde und verzweifelte Violinisten, aber was ist mit uns?«
Er atmete tief durch. »Ach, Liebes.« Dann nahm er ihr Gesicht in seine Hände und schaute sie an. »Wir haben in
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