Die Tote von San Miguel
gringos , die ziellos ins Blaue hineinlebten. Ihre Garderobe bestand aus T-Shirts, Khaki-Shorts und Flipflops. Beide hatten langes, ungewaschenes blondes Haar. Wären ihre T-Shirts nicht mit den Logos unterschiedlicher Biermarken bedruckt gewesen, hätte man sie nicht auseinanderhalten können.
Das plötzliche Auftauchen von Diaz und Ortiz, die ganz offensichtlich nicht zu ihrem Vergnügen unterwegs waren, interessierte die beiden Schachspieler herzlich wenig. Sie setzten ihre Partie in bekiffter Versunkenheit fort.
Diaz nickte ihnen zu, als er auf seinem Weg zu einer offenen Tür mit der Aufschrift Oficina an ihnen vorbeiging. Er klopfte an den Türrahmen, doch es ließ sich niemand blicken oder hören.
»Sie ist unterwegs«, sagte einer der beiden jungen Burschen. »Aber Sie sehen sowieso nicht so aus, als wollten Sie ein Zimmer mieten.«
Der zweite Mann stieß ein wieherndes Lachen aus, das sich in ein ersticktes Husten verwandelte. Diaz verzog angewidert das Gesicht.
»Wir suchen señorita Gates.«
»Die kleine Sylvia? Die ist völlig fertig. Ihre Freundin Amanda ist gestern Nacht vergewaltigt und ermordet worden.« Der Amerikaner rotzte einen Speichelfladen durch die Vorderzähne in den Staub. »Ihr seid wahrscheinlich die Bullen.«
»Und Sie sind?«, erkundigte sich Diaz.
Der Mann starrte wieder auf sein Schachbrett, ohne die Frage zu beachten. Die Zeit schleppte sich wie ein altersschwacher Esel dahin.
Diaz beendete das Geplänkel brutal, indem er einen Schritt vortrat, einen Arm des Mannes packte, ihn ihm auf den Rücken drehte und ihn hochzog. Die Schachfiguren flogen in den Staub. Der zweite Mann sprang erschrocken auf, die Arme ausgestreckt, die Handflächen beschwichtigend nach oben gedreht. »Whoa!«, stieß er hervor und wich zurück.
Diaz verdrehte den Arm des ersten Mannes stärker und zog ihn weiter hoch. Der Amerikaner beugte sich so weit vor, bis er die Tischplatte mit der Stirn berührte. »Scheiße, Mann!«, ächzte er. »Sie tun mir weh!«
»Ich glaube, Sie haben vergessen, meine Frage zu beantworten«, sagte Diaz.
»Bobby. Ich heiße Bobby McVey.«
Diaz ließ den Arm des Mannes genauso überraschend los, wie er ihn gepackt hatte. McVey stürzte zu Boden, blieb auf den Knien im feinen Staub liegen und massierte sich den schmerzenden Arm.
»Wohnen Sie hier, Bobby?«, fragte Diaz.
McVey schwieg, das Gesicht mürrisch verzogen.
»Wenn Sie nicht wollen, dass ich Ihnen den Arm breche, beantworten Sie meine beschissene Frage!«, zischte Diaz.
McVeys Augen huschten wie zwei verängstigte Kakerlaken, die sich unversehens dem grellen Tageslicht ausgesetzt sahen, hin und her. »Ja, ich wohne hier.«
»Wie lange?«
»Ein paar Wochen.«
»Also kannten Sie Amanda Smallwood?«
»Sie hat schon in diesem Loch gewohnt, als wir hergekommen sind.«
»Was hat sie hier in San Miguel gemacht?«
»Ich weiß nicht. Rumgehangen. Sich zugedröhnt. Was soll man denn sonst schon in Mexiko tun?« McVey schob sich zurück und versuchte, einen möglichst großen Abstand zwischen sich und Diaz zu bringen. Sein Kumpel, der ein paar Meter entfernt dastand, zündete sich eine Zigarette an und rauchte nervös.
»Waren Sie Freunde?«
»Amanda hat mit Sylvia oben in Nummer 14 gewohnt. Manchmal hat sie mir das Tarot gelegt, oder wir haben zusammen gekocht. Aber sonst hat sie immer mit der Künstler-Clique rumgehangen. Wir waren ihr nicht hip genug.«
»Sie haben also nicht mit ihr geschlafen?«
»Scheiße, nein, Mann!«
Diaz ging so vor McVey in die Hocke, dass der junge Amerikaner die Glock im Schulterholster unter der Jacke des Inspectors sehen konnte. Er streckte eine Hand aus und tippte McVey mit dem Finger auf die Stirn. »Verarschen Sie mich nicht, hombre .«
»Okay, okay. Sie war ein heißes kleines Luder. Manchmalwaren wir zusammen, haben Bier getrunken und ein bisschen Pot geraucht. Aber mehr ist zwischen uns nie gelaufen. Dafür hatte sie Sylvia und ihre Künstlerfreunde.«
»Und wie steht es mit Ihrem Schachkumpel hier?«
Der zweite Mann zuckte überrascht zusammen, als die Sprache auf ihn kam. Er fingerte so nervös an seiner Zigarette herum, dass sie zu Boden fiel. »Hey, ich hatte nichts mit ihr, Mann! Ich habe sie kaum gekannt.«
»Weiß einer von Ihnen beiden, ob sie Feinde hatte? Irgendwelche Beziehungen, die vielleicht in die Brüche gegangen sind?«
»Sie hat ihr eigenes Ding gemacht, Mann. Damit hatten wir beide nichts zu tun.«
»Das hoffe ich für Sie.« Einen Moment lang
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