Die Tote von San Miguel
fallen, ohne eine Antwort abzuwarten, und stieß seine Zigarette so unbeherrscht in den Aschenbecher, dass glühende Tabakkrümel über seinen Schreibtisch flogen. Arschloch!
Schon seit die Nonnen sie damals so weit wie möglich voneinander entfernt im Klassenzimmer platziert hatten, bestand eine unerklärliche leidenschaftliche Rivalität zwischen Cedillo und Diaz. Cedillos Wahl zum Bürgermeistervon San Miguel hatte diesen alten Wettstreit neu befeuert. Er nutzte gnadenlos jede sich bietende Gelegenheit, Diaz wegen dessen beruflicher Leistung und verpfuschten Privatlebens zu schikanieren. Diaz wiederum streute Gerüchte über Cedillos angebliche Tobsuchtsanfälle und bizarre sexuelle Vorlieben aus. Persönlich kümmerte es ihn einen Scheißdreck, aber es bereitete ihm Vergnügen, seinen Rivalen damit zu provozieren. Schon sehr bald würde irgendein Geschäftsmann Cedillo wegen einer übertriebenen Forderung am Anteil einer zwielichtigen Unternehmung über die Klinge springen lassen. Bis dahin sorgte Staatsanwalt Ortega, Diaz’ Zimmergenosse während ihrer gemeinsamen Studienzeit, dafür, dass Cedillos Schikanen keine größeren Konsequenzen nach sich zogen.
Momentan galt Diaz’ Interesse allerdings ausschließlich einer Sache: herauszufinden, wer die blutjunge Amanda Smallwood stranguliert und verstümmelt hatte.
Er lehnte sich in seinen Türrahmen und beobachtete die alltäglichen Aktivitäten im Großraumbüro des Reviers. Ortiz telefonierte wieder und gestikulierte dabei heftig herum. Mit seinem grauen Hemd, der straff geknoteten Krawatte und dem schwarzen italienischen Sportsakko bediente er perfekt das Klischee des typischen Fernsehbullen. Sergeant Armando Ruiz, rosagesichtig, frisch gewaschen und wohlgenährt, tratschte mit Corporal Felicia Goya vom Innendienst. Gerade lachte sie über eine seiner Bemerkungen, und ihr Retro-Pferdeschwanz schwang dabei wie ein alter afrikanischer Fliegenwedel zwischen ihren Schultern hin und her. García Sanchez, der dienstjüngste Sergeant, starrte trübselig ins Nichts. Was für ein Haufen von Verlierern , dachte Diaz resigniert.
Er schlug so kräftig mit der offenen Hand gegen den Türrahmen,dass Armando vor Schreck zurückzuckte und heftig mit den Armen ruderte, um nicht mit seinem Stuhl umzukippen. Ortiz beendete sein Telefonat mitten im Satz. Felicia knabberte nervös an einem Fingernagel. Alle Augen richteten sich auf Diaz, der verstohlen seine schmerzende Hand massierte.
Einzig García zeigte keinerlei Reaktion und stierte weiter wie entrückt vor sich hin. Diaz fragte sich, ob der junge Sergeant ein Drogenproblem hatte oder am Gegenteil des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms litt.
»Hört zu, cabróns . Wie ihr alle wisst, ist gestern Nacht eine gringa im jardín ermordet worden.«
Allgemeines Nicken antwortete ihm.
»Wie die Zeitungen so schnell davon erfahren konnten, werden wir später besprechen. Vorerst interessiert uns nur eins: den Killer zu finden. Ich möchte alles wissen, was über die Verstorbene in Erfahrung gebracht werden kann. Wo sie gewohnt hat, wer ihre Freunde waren, wie oft sie pissen gegangen ist, was ihre Lieblingsfarbe war, mit wem sie ins Bett gegangen ist oder warum sie nichts dergleichen getan hat.«
»Vor einer halben Stunde hat eine Frau angerufen«, meldete Ortiz eifrig. »War völlig durch den Wind, hat geweint. Sie hat gesagt, sie hätte mit der Toten zusammengewohnt.«
»Okay, Roberto. Wir beide werden uns mit dieser Frau unterhalten. Armando, ich möchte, dass du das Pärchen befragst, das die Leiche gefunden hat. Die beiden wohnen im Hotel San Sebastián . Felicia, du klemmst dich hinters Telefon und versuchst, so viel wie nur möglich über die Tote herauszufinden, einschließlich der Adresse und Telefonnummer ihrer Familie.«
Felicia seufzte.
»García kümmert sich um alles andere, was mit dem Fall zu tun hat.« Diaz’ Miene verfinsterte sich. »Und wenn dieser Rattenarsch von einem Bürgermeister wieder anrufen sollte, stellt euch dumm.«
Das Hotel de los Tres Santos war ein heruntergekommenes Haus in der Innenstadt, ein paar Häuserblocks westlich des mercado publico . Die Zimmer in den beiden Etagen mit ihren zerbröckelnden Luftziegelfassaden gingen hufseisenförmig auf einen ungepflasterten Hof hinaus, wo sich eine einzelne schäbige Palme in dem kargen Boden hartnäckig ans Leben klammerte.
Im Schatten der Palme saßen zwei Männer Anfang zwanzig, die Schach spielten und rauchten. Sie verströmten das Flair von
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