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Die Tote von San Miguel

Die Tote von San Miguel

Titel: Die Tote von San Miguel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Woods
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einer unglaublichen Leidenschaft erfasst worden.
    Wie unreif war das denn?
    Sie wusste, dass sie im Begriff war, Hals über Kopf die Kontrolle über ihre Gefühle zu verlieren. Doch es war ihregal. Sie hatte Leute gekannt, die jünger als sie und heute bereits tot waren.
    Das könnte meine letzte Chance sein , dachte sie. Mein letzter guter Fick .
    Sie nahm ihr Buch zur Hand, einen Krimi von James Crumley, und begann zu lesen. Doch gleich darauf ließ sie es wieder sinken und kehrte im Geist ein paar Stunden in der Zeit zurück.
    »Vielleicht sehe ich Sie ja heute Abend wieder«, hatte er gesagt. Wahrscheinlich hatte sie ihn ziemlich verständnislos angestarrt, denn er hatte hinzugefügt: »Auf der Ausstellung.«
    »Vielleicht«, hatte sie in einem möglichst gleichgültigen Tonfall geantwortet, während alles in ihr laut schrie: Ja, ja, ja!
    Nachdem Gregorowitsch mit einem Nicken und Zwinkern verschwunden war, bestellten Consuela und sie Cobb-Salat, Leo enchiladas suizas . Während sie aßen, erzählte Consuela eine wilde Geschichte darüber, wie sie letzte Nacht auf dem Rückweg zu ihrem Hotel im jardín die Leiche einer jungen Frau gefunden hatten. Ein hübsches blondes weißes Mädchen, das erdrosselt in der Dunkelheit gelegen hatte, die Augen herausgerissen.
    Ein Klopfen an der Tür riss Jane aus ihrer Versunkenheit. »Einen Moment, bitte!«, rief sie.
    Sie stellte ihr Manikürset auf das Nachtschränkchen, trank einen letzten Schluck von ihrem mojito und schlang den Morgenmantel enger um ihren Körper. Sie hatte kaum die Tür entriegelt, als Consuela auch schon in das Zimmer stürzte.
    »Also, wer ist dieser Gregori Gregorowitsch, den du heute Abend auf der Ausstellung treffen wirst?«
    »Ein Künstler, den ich im zócalo kennengelernt habe.«
    »Natürlich. Ein Künstler. Ich hoffe, er ist auch ein Künstler im Bett.«
    »Tja, das werde ich dann wohl rausfinden müssen, oder?«
    »Was, wenn Niles …?«
    »Was, wenn Niles …?«, wiederholte Jane mit einer hohen atemlosen Stimme wie von Truman Capote.
    »Das wäre dein Begräbnis.«
    »Nein, wäre es nicht. Das Leben ist bestenfalls kurz und unbeständig. Schlimmstenfalls bist du schon vom Tag deiner Geburt an am Arsch. Krebs, AIDS, eine verirrte Kugel aus einem vorbeifahrenden Wagen. Das tote Mädchen, das ihr gestern gefunden habt, ist dem Verhängnis über den Weg gelaufen, und das Schicksal hat ihm den Rücken zugewandt. Es gibt keine Sicherheitsgarantie im Leben.«
    »Aber was, wenn dieser Typ der Mörder ist? Er hat auf mich den Eindruck eines Rumtreibers gemacht, eines Heimatlosen. Irgendjemand hat Leo gesagt, die policía glaubt, dass der Mörder ein Streuner ist.«
    »Bitte! Er ist kein Mörder. Das wüsste ich.« Jane bedachte Consuela mit einem gereizten Blick. »Und jetzt verzieh dich, damit ich ein Bad nehmen kann.«
    Nachdem sich die Tür hinter Consuela geschlossen hatte, bestellte Jane einen weiteren mojito . So bewaffnet, vergaß sie in ihrem Schaumbad eine Stunde lang die Welt. Als sie wieder aus der Wanne stieg, sah sie an ihrem rosafarbenen Körper hinab und zuckte zusammen. Warum sollte sich ein großkotziger lebenshungriger Künstler mit mir abgeben? , fragte sie sich.
    Doch als er am Tisch ihr gegenübergesessen und seine enchiladas verschlungen hatte, war er ihr wie ein Mann kurz vor dem Ende seines Weges vorgekommen, wie ein Kater,der bereits zu viele seiner Leben verbraucht hatte. Sie zählte darauf, dass Gregori Gregorowitschs Motor schon auf Reserve lief.
    Mit wachsender Verzweiflung rieb sie sich mit einer Vielzahl von Salben und Feuchtigkeitscremes ein. Bis auf einen tomatenroten Lippenstift und einen Tupfer Lidschatten verzichtete sie auf Make-up.
    Vielleicht habe ich ja Glück, und er übersieht das Kleingedruckte , dachte sie ironisch.
    Sie probierte alle drei Cocktailkleider aus, die sie eingepackt hatte, und entschied sich schließlich für ein silbernes Stück Petrochemie mit nur einem Schulterträger.
    Um halb neun am Abend quetschte sie sich mit Leo und Consuela in ein Taxi. Eingeklemmt zwischen beiden, die Unterseite der nackten Oberschenkel auf der Rücksitzbank aus Vinyl festgeklebt, kam sie sich wie eine drittklassige Vagabundin vor, die in einem schäbigen Alptraum gefangen war. Eine Jean-Rhys-Heldin.
    Als sich Leo eine Zigarre anzündete, explodierte ein heftiger Kopfschmerz hinter ihrer Stirn. Ihr Magen brannte wie Feuer. Sie beugte sich über Consuela hinweg, kurbelte hektisch die Seitenscheibe des Taxis hinunter

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