Die Tote von San Miguel
wiederaufleben zu lassen. Aber wer sollte die Rolle des Roten Tods übernehmen?
Gregorowitsch bahnte sich seinen Weg durch die Menge, bis er Brian Dillinger fand, der von einer uralten Matrone, die sich genug Diamanten um den faltigen Halt gehängt hatte, um damit ein Pferd erdrosseln zu können, im hintersten Winkel des Raumes gestellt worden war. Brian führte ihre Hand, deren Haut so runzlig wie die einer Kröte war, mit einer aalglatten formellen Geste an seine Lippen. Die andere Klaue der Frau ruhte auf dem Arm eines mittellosen Verwandten, der ihr wie ein Schatten auf Schritt und Tritt folgte. Das Gesicht ihres Beschützers, der eine Sonnenbrille mit runder Schildpattfassung trug, war so emotionslos wie das eines Auftragsmörders.
» Señora Limon«, sagte Brian gerade, »die beiden Gemälde werden morgen zu Ihrer estancia geliefert werden. Dann können Sie ganz in Ruhe das Bild auswählen, das am besten in Ihren Salon passt. Es ist mir eine außerordentliche Ehre, Ihnen zu Diensten sein zu dürfen, señora . Ihr Geschmack ist wie immer unbestechlich.«
Unterwürfigkeit kommt gleich nach Frömmigkeit , dachte Gregorowitsch. Zumindest wenn man sich in den begüterten Kreisen des alten Mexikos bewegt .
Julia, eine hübsche junge Frau mit hinreißenden Brüsten, die in der Galerie arbeitete, stand geduldig wartend in der Nähe. Brian blickte an der buckligen Inkarnation von Reichtum und Privilegien vorbei und entdeckte Gregorowitsch am Rande dieses pittoresken lateinamerikanischen Ensembles.
»Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, señora . Julia wird alle logistischen Details mit Ihnen erörtern.« Er schlüpfte an der geschlechtslosen Kreatur vorbei und umklammerte Gregorowitsch mit dem Griff eines Berufsringers. Gemeinsam schoben sie sich durch die Menge, die Köpfe vertraulich zusammengesteckt, als würde ein Investmentbanker seinem Jünger die neusten Insiderinformationen zuflüstern.
»Du hast die schreckliche Nachricht schon gehört? Irgendjemand hat Amanda kaltgemacht. Es heißt, sie wäre entsetzlich zugerichtet worden. Der Sargdeckel wird während der Trauerfeier geschlossen bleiben. Das bist doch nicht etwa du gewesen, nicht wahr, Gregori?« Brian stieß ein gepresstes Lachen aus.
Gregorowitsch riss sich aus Brians Griff los. »Was, zum Teufel, stimmt nicht mit dir?«, fragte er. »Natürlich habe ich es nicht getan!«
Ein schmales Lächeln spaltete Dillingers gebräuntes Gesicht in der Mitte. »Man erzählt sich, sie wäre von einem durchgeknallten Rumtreiber aus den Staaten ermordet worden.« Er zuckte die Achseln, die Hände in einer übertriebenen Geste erhoben, als wäre dies eine Szene in einer Sitcom. »Da musste ich natürlich sofort an dich denken, Gregorowitsch. Dein Ruf, in L. A. minderjährige Dinger flachgelegt zu haben, macht dich zum perfekten Kandidaten.«
»Fick dich!« Doch noch während Gregorowitsch wütend herumwirbelte, hatte ihm Dillinger schon wieder einen Arm um die Schultern gelegt. »Armer Gregorowitsch, sei nicht eingeschnappt. Komm schon. Ich spendier dir einen Wein oder stell dich einer schönen Frau vor.«
Gregorowitsch wusste genau, dass er Brian Dillinger unmöglich verprellen durfte. Der Mann war nicht nur reichund mächtig, sondern auch noch der Besitzer einer der drei wichtigsten Galerien in San Miguel. Und zwar genau der, in der Gregorowitsch hoffte, sein Comeback zu schaffen.
»Ich denke, du schuldest mir beides«, murmelte er.
Sie gingen zur Bar hinüber, wo Gilberto Gläser mit tinto o blanco an die Besucher austeilte. Dillinger wies ihn an, eine besondere für ihn reservierte Flasche zu entkorken. Als er ihm den Rücken zuwandte, bedachte Gilberto Gregorowitsch mit einer Grimasse.
Nachdem er ihnen eingeschenkt hatte, standen Dillinger und Gregorowitsch wie alte Schulkameraden dicht beieinander, kosteten den teuren Wein und beobachteten die Szenerie.
»Ein gutes Publikum heute Abend«, sagte Dillinger. »Die Leute scheinen in Kauflaune zu sein. Drei deiner Bilder sind bereits verkauft worden. Ich bin mir sicher, dass das an Amandas Ermordung liegt. Schließlich wird es keine neuen Bilder mehr von ihr geben. Jedenfalls keine Porträts der lebenden Amanda.«
Er leerte sein Glas mit zwei großen Schlucken. »Vielleicht sollten wir vor jeder Ausstellung das führende weibliche Model umbringen lassen«, fuhr er fort. »Als eine Art postmodernes aztekisches Ritual, um die Gunst der Götter zu gewinnen. Man könnte es im Kabelfernsehen in den
Weitere Kostenlose Bücher