Die Tote von San Miguel
und spie ein Gemisch aus mojitos und Galle auf die Straße hinaus. Kurz darauf hielten sie vor einer Apotheke, damit sie sich ein Fläschchen Mundwasser besorgen konnte.
Wiederum ein paar Minuten später stiegen sie vor einer von pulsierendem Licht durchdrungenen Glasfassade, die die Galería Rana war, aus dem Taxi. Inmitten der Schickeria von San Miguel, die die Galerie bevölkerte, entdeckte Jane den russischstämmigen Künstler auf der anderen Seite des Raumes. Zu ihrer Überraschung hatte er sich tatsächlich rasiert und ein frisches Hemd angezogen. Der Mann, mit demer sich gerade unterhielt, besaß die billige Ausstrahlung eines Verkäufers, den der Zufall in die Riege der Leute mit einem sechsstelligen Jahreseinkommen katapultiert hatte. Zum Kotzen!
Doch dann sagte sie sich, dass er auch ein wohlhabender Sammler sein konnte. Ein Mann mit gutem Geschmack, auch wenn der ihn selbst nicht mit einschloss. Und nach allem, was ich weiß , dachte sie, ist Gregori Gregorowitsch vermutlich nur ein talentloser Aufschneider .
Plötzlich schlug erneut eine Welle der Übelkeit in ihrem Magen zusammen.
Oder ein Mörder .
Kapitel 10
Gregori Gregorowitsch ließ den Gestank von Schweiß, Schnaps und Einsamkeit im Gato Negro hinter sich und wanderte durch die uralten Straßen von San Miguel. Er betrachtete die ernsten indianischen Gesichter um sich herum und versuchte, sich an die Vorstellung zu gewöhnen, dass Amanda Smallwood ermordet worden war. Doch statt ihres schelmischen Blicks tauchte vor seinem geistigen Auge immer wieder das Bild der Blondine namens Jane auf. Ob sie wohl heute Abend in der Galería Rana auftauchen würde? Oder war ihre Begegnung nicht mehr als ein weiteres zufälliges Zusammentreffen einer Ansammlung von Molekülen in einem seelenlosen gleichgültigen Universum gewesen?
Das Schicksal oder das Fehlen irgendeiner Alternative führte Gregorowitsch schließlich vor die Eingangstür der Galerie. Er ging davon aus, dass Brian Dillinger, der Besitzer der Galería Rana , bereits alle Anwesenden über Amandas schockierendes Ende ins Bild gesetzt haben würde, doch als er die Galerie betrat, fand er sie menschenleer vor. Abgesehen von Gilberto Schlag-mich-tot, dem Assistenten des Managers, der gerade dabei war, einen Karton mit Weißwein aufzureißen und die Flaschen in einen Weinkühler zu stellen.
»Hola« , grüßte Gregorowitsch.
Gilbertos Erwiderung bestand aus einem angedeuteten hochnäsigen Nicken.
Gregorowitsch warf ihm eine Kusshand zu und stieg in das Kellergewölbe der Galerie hinunter. Ein unterirdischesReich, das von Spinnen bewohnten Stauraum und einen Konferenzraum beherbergte, in dem die Geschäfte mit den Bildern der Galerie abgeschlossen wurden. Nachdem er sich eilig im Badezimmer neben dem Konferenzraum gewaschen hatte, rasierte er sich mit einer schon ziemlich stumpfen Rasierklinge, die er in dem Schränkchen neben dem Waschbecken fand. In einem Wandschrank entdeckte er drei frisch gereinigte und gebügelte blaue Hemden, die zweifellos Dillinger gehörten. Gregorowitsch probierte eins davon an. Es passte más o menos , auch wenn es über dem Bauch ein wenig spannte und die Arme etwas zu lang waren. Ein plötzlicher Anfall von Erschöpfung überfiel ihn wie ein heftiger Regenschauer. Er kroch unter den Konferenztisch und glitt augenblicklich in ein Märchenland der Träume hinüber, in dem Jane Ryder nackt durch eine wie von Dalí gemalte surrealistische Landschaft schlenderte.
Ein unbekümmertes Frauenlachen weckte ihn.
»Falsche Tür, Süße«, kicherte eine andere Frauenstimme.
Während er sich aufsetzte und sich den Schlaf aus den Augen rieb, konnte er durch die papierdünne Wand hören, wie die Frauen mit vom Alkohol gelösten Zungen die Mängel ihrer männlichen Begleiter auflisteten. Dann ertönte das Rauschen einer Toilettenspülung.
Seine japanische Digitalarmbanduhr zeigte 20:32 Uhr an. Die Ausstellungseröffnung musste bereits in vollem Gang sein.
Er stieg die Treppe hinauf und blieb einen Moment lang an ihrem Ende stehen, um einen Blick auf das bunt gemischte Publikum zu werfen, das wie ein tanzender Mückenschwarm durch die Galerie wogte. Die meisten Frauen waren schön, einige sehr exzentrisch, ein paar andere völlig grotesk herausgeputzt. Die Männer ließen sich grob in zweiKategorien aufteilen, auf der einen Seite reiche Geschäftsleute, auf der anderen verarmte Künstler und Drogenabhängige. Es war die perfekte Mischung, um Prinz Prosperos Maskenball
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