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Die Tote von San Miguel

Die Tote von San Miguel

Titel: Die Tote von San Miguel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Woods
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Smallwoods Stimme brach, und ein Aufschrei abgrundtiefer Verzweiflung drang aus dem Telefon. Dann brach die Verbindung übergangslos ab.
    Diaz verspürte das Bedürfnis nach etwas Hochprozentigem, doch er wusste, dass sich seine Eingeweide dafür rächen würden. Also zündete er sich stattdessen eine Zigarette an. Er lehnte im Türrahmen seines Büros und sah zu, wie Quevedo emsig in die Computertastatur tippte, während er einen Tatortbericht verfasste. Oder aber seiner Freundin eine E-Mail schrieb.
    »Wie geht es in der Sache mit den Hoteldiebstählen voran?«, erkundigte er sich.
    Quevedo hörte auf zu tippen und drehte sich mit seinem Bürostuhl herum. Er fuhr sich mit der Hand durch das lange, allmählich schütter werdende Haar.
    »Wer, zur Hölle, weiß das schon? Ich suche einen Kerl mit Schnurrbart, schlechter Haut und einem goldenen Schneidezahn. Ein Mann dieser Beschreibung ist angeblich etwa zu der Zeit im Hotel beobachtet worden, als sich einige der Einbrüche ereignet haben, bei denen Schmuck gestohlen worden ist. Die Beschreibung trifft vermutlich auf die Hälfte aller Strauchdiebe in ganz Mexiko zu.«
    »Viel Glück bei der Suche.«
    Quevedo massierte sich nachdenklich das Kinn mit Daumen und Zeigefinger. Den anderen Arm hatte er auf seinen Bauch gelegt, der durch regelmäßiges Gewichtheben und Situps straff und fest war. » Claro , es muss jemand aus dem Hotel gewesen sein«, sagte er. »Kaum ein Tourist nimmt viel Schmuck mit, wenn er nach Mexiko fährt. Der Dieb muss genau gewusst haben, in welchem Zimmer die Frau oder Freundin eines Gastes abgestiegen ist, die darauf besteht, ihre kostbaren Klunker in den Restaurants oder Bars spazieren zu tragen. Und um das zu wissen, muss er im Hotel arbeiten.«
    »Bleib am Ball. Irgendwann wird schon etwas durchsickern. Schließlich muss der Dieb den Schmuck ja irgendwo verkaufen.«
    »Das Problem ist, dass bis jetzt bereits drei hochklassige Hotels betroffen sind, die zu viele Angestellte haben, als dass ein einziger Polizist sie alle verhören könnte.«
    »Vielleicht kann ich dir morgen Armando zuteilen, wenn dir damit geholfen ist.«
    »Ich nehme, was ich kriegen kann.«
    Diaz kehrte in sein Büro zurück und überprüfte den Anrufbeantworter. Der Bürgermeister hatte wieder angerufen, außerdem ein gewisser Morales von der Bundespolizei in Guanajuato. Diaz wusste, dass Don Cedillo ihm nur den Arsch dafür aufreißen wollte, dass er bisher noch niemanden festgenommen hatte. Dagegen hatte er nicht die geringste Ahnung, wer dieser Morales war oder warum er angerufen haben könnte. Allerdings war ihm nicht danach zumute, irgendeinen der beiden zurückzurufen. Und da es nach sieben Uhr und zudem noch Freitagabend war, würde er sie ohnehin kaum noch in ihren Büros erreichen.
    Dr. Moza hatte dagegen nicht angerufen, um ihm denAutopsiebericht durchzugeben. Diaz runzelte die Stirn. Er rief in Mozas Büro an, landete aber nur auf dem Anrufbeantworter.
    »Nicholas. Diaz hier. Ich hoffe, Sie verschwenden nicht Ihre ganze Zeit darauf, sich um die Lebenden zu kümmern. Ich brauche die Untersuchungsergebnisse von dem toten Mädchen. Wieso diese Verzögerung? Sie können mich noch bis Mitternacht zurückrufen.«
    Diaz schätzte die Wahrscheinlichkeit, dass Moza seinen Anrufbeantworter heute noch abhörte, auf rund fünfzig Prozent. Schließlich ließ sich niemand nur deshalb davon abhalten, zu sterben oder einen Arzt zu benötigen, weil es Freitagabend war. Er warf einen Blick auf seine Schreibtischuhr – ein Geschenk zu seinem zwanzigjährigen Dienstjubiläum. Vier pseudogriechische Säulen in Form eines miniaturisierten Erkers. In die Stirnseite des Daches waren sein Name und die Stationen seiner Polizeikarriere eingraviert. Das Ziffernblatt der Uhr befand sich hinter einer konisch geformten Glasscheibe. Der Messingüberzug des Gehäuses hatte längst seinen Glanz eingebüßt und löste sich bereits an einer der Säulen von dem darunterliegenden Blech ab.
    Nachdem er die Uhr mehrere Sekunden lang irritiert angestarrt hatte, erkannte er endlich, was nicht mit ihr stimmte. Sie war stehengeblieben. Entweder fünf Minuten vor Mittag oder vor Mitternacht. Als ihn ein plötzlicher Anflug von Erschöpfung zu überwältigen drohte, schloss er die Augen und massierte seine Nasenwurzel zwischen Daumen und Zeigefinger. Er konnte genau nachvollziehen, wie einer Uhr zumute sein musste, die einen endlosen Kreis von Tagen durchlief, der nirgendwo hinführte.
    Dann erst entdeckte

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