Die Tote von San Miguel
auf der Wange.«
Sie beugte sich vor und berührte den Rand ihrer Wangenknochen, wo noch immer ein Fleck von der Größe und Farbe einer großen Martiniolive durch ihr Make-up hindurchschimmerte.
»Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass wir in der Polizeistation waren. Weil ich endlich aus diesem eiskalten Nebel raus war. Und dann sind Sie auf einmal wie ein Halbgott aufgetaucht und haben uns aus den Klauen dieses Arschlochs namens Sergeant Silva gerettet.« Sie lächelte lüstern.
»Gut«, sagte Diaz. Er stand auf und leerte sein Glas. »Würden Sie mich bitte für einen Moment entschuldigen?«
Der Kellner mit dem Babygesicht beschrieb ihm den Weg zur Herrentoilette, die den Flur entlang in Richtung der Straße lag. Diaz schlenderte durch den Eingangsbereich und warf dabei einen Blick in den Hauptspeisesaal, wo noch immer einige Gäste saßen, die ein spätes Abendessen einnahmen.
Er machte kehrt und ging den Flur entlang. Etwa auf halber Strecke befand sich schräg gegenüber der Herrentoilette eine Schallschutztür, durch die trotzdem gedämpfte Männerstimmen und ein gelegentliches Auflachen drangen.
Gerade als er die Toilette betreten wollte, schwang die Schallschutztür auf der anderen Seite des Korridors auf, und ein untersetzter Mann in einem schwarzen Anzug trat heraus. Für einen kurzen Moment stand die Tür weit genug offen, dass Diaz neun Geschäftsmänner sehen konnte, die mit Zigarren und Gläsern in den Händen um einen länglichen Tisch herum saßen. Dann hatte der Leibwächter, um den es sich bei dem untersetzten Mann offensichtlich handelte, die Tür hinter sich zugezogen.
Seine eiskalten Augen ruhten mehrere Sekunden lang reglos auf Diaz, während er abzuschätzen versuchte, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Gefahr von dem schlanken Mann ausgehen könnte. Unter seiner linken Achselhöhle wölbte sich der Anzugsstoff verräterisch über dem Griff einer großkalibrigen Waffe.
Reiche Bastarde, die sich an einem Freitagabend zu einem Geschäftstreffen zusammengefunden haben, um zu beraten, wen sie als Nächsten ficken sollen , dachte Diaz. Er starrte den Leibwächter aus schmalen Augen drohend an, doch der war anscheinend zu dumm, um auch nur mit der Wimper zu zucken. Diaz drehte ihm den Rücken zu und verschwand in der Toilette.
Nach einer längeren Zeit in einer der Toilettenkabinen stand er vor dem Waschbecken und betrachtete sich im Spiegel. Was er sah, beruhigte ihn nicht gerade. Er blendete sein eigenes bleiches Spiegelbild aus und ersetzte es durch den geistigen Schnappschuss, den er von den Männern an dem Tisch hinter der Schallschutztür angefertigt hatte.
Bei sieben der neun Männer handelte es sich um ältere Geschäftsleute mit dicken Bäuchen und geröteten Gesichtern, die von Jahren exzessiver Lebensführung kündeten. Auch wenn sie eine sorgsam einstudierte Lässigkeit mit ihrem hemdsärmligen Auftreten und den gelockerten Designerkrawatten an den Tag legten, schimmerte doch das Raubtierhafte unübersehbar durch die legere Oberfläche hindurch.
Diaz identifizierte den Mann am Kopfende des Tisches als Senator Abraham Limon, einen der mächtigsten Politiker der regierenden Partei im Bundesstaat Guanajuato. Neben ihm saß ein sehr viel jüngerer Mann, Nummer acht, durch die Ähnlichkeit der Gesichtszüge leicht als Abkömmlingvon señor Limon erkennbar. Und neben Limon junior lehnte schließlich – Überraschung, Überraschung! – numero nueve , Brian Dillinger. Kein Wunder, dass er mit seinen geschäftlichen Unternehmungen erfolgreich gewesen war.
Einen Moment lang dachte Diaz ernsthaft darüber nach, in das Hinterzimmer zu stürmen und alle Anwesenden wegen dringenden Tatverdachts festzunehmen. Aber das wäre bloß eine sinnlose Geste gewesen. Und eine selbstmörderische dazu.
Als er endlich in die Bar zurückkehrte, fand er Consuela in einen bunten indianischen Schal gewickelt am Tresen. Sie trank ein agua gaseosa und plauderte vergnügt mit dem Barkeeper.
»Sie haben sich ziemlich viel Zeit in der Toilette gelassen«, stellte sie fest. »Hat Sie irgendjemand aufgehalten?« Sie lachte. »Außerdem haben Sie mir die Rechnung überlassen.«
Während Diaz darauf beharrte, seinen Teil der Rechnung zu bezahlen, wandte sie sich wieder dem Barkeeper zu. » Buenas noches , Pedro.«
» Adiós, señora . Hoffentlich darf ich Sie bald wieder hier begrüßen.«
Die Straße vor der Bar bot – wie die meisten Straßen in San Miguel – Diaz und Consuela die Wahl,
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