Die Tote von San Miguel
blockierte, der vom Friedhofstor zur Straße führte.
Diaz entschied sich für die barsche Variante. »Geh mir aus dem Weg, du Müllsack!«
»Einen Moment, amigo «, sagte der Fremde. »Kenne ich dich nicht?« Er wich ein paar Schritte zurück und zog gleichzeitig eine großkalibrige Waffe unter seinem Schaffellumhang hervor. Diaz erkannte einen uralten Colt Kaliber .45, der besser in ein Museum als in die Hand eines Mörders und Banditen der Gegenwart gepasst hätte. In den Augen des pistoleros flackerte plötzliches Wiedererkennen wie die Flamme eines Streichholzes auf.
»Na, wenn das mal nicht der Bulle Hector Diaz ist. Sie sind aber noch spät unterwegs, señor Diaz.« Der Landstreicher fuchtelte ausgiebig mit dem Revolver herum, als sei er einem Spaghettiwestern entsprungen. »Erkennst du mich denn nicht wieder, Hector? Mir hat sich dein Gesicht jedenfalls unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt. Wegen dir habe ich meine Jugend und meinen Verstand verloren.« Seine Augen glühten, als loderten in ihnen die Flammen der ewigen Verdammnis. Zumindest kam es Diaz so vor.
Das geht nicht gut , dachte er. Er überlegte, ob er einfach blitzschnell zwischen den Gräbern des Friedhofs untertauchen sollte, als sich hinter dem bewaffneten Fremden übergangslos zwei Gestalten aus der Dunkelheit schälten.
Diaz musterte die drei. Das Gesicht des Mannes mit der Waffe sah aus, als wäre jemand darauf herumgetrampelt: der Mund wie bröckeliger Teig, die Augen wie zwei ausgefranste Löcher, die Nase gebrochen, schief und platt. Langes verfilztes Haar. Ein schütterer Kinnbart. Ein primitives Gefängnistattoo, das eine um einen Dolch gewickelte Viper zeigte, auf einer Seite des Halses.
Wer war nur dieser Kotzbrocken, der seinen Namen kannte? Diaz’ Gedanken überschlugen sich. Plötzlich kam ihm die Erleuchtung. Emile! Emile Zato, ein sadistischer Psychopath, den er vor sieben Jahren wegen Vergewaltigung, bewaffneten Raubs und schwerer Körperverletzung hinter Gitter gebracht hatte. Emile und sein älterer Bruder hatten ein amerikanisches Ehepaar in ihre Gewalt gebracht, den Mann wegen lumpiger dreißig Dollar fast totgeschlagen und die Frau dazu gezwungen, es ihnen mit dem Mund zu besorgen. Der Mann hatte bleibende Hirnschäden erlitten, die Frau war unheilbar traumatisiert worden. Diaz hatte Emiles Bruder mit einer Kugel zwischen die Augen direkt indie Hölle geschickt. Zu spät erkannte er, dass er das Gleiche mit dem Jüngeren hätte tun sollen.
Die anderen beiden Herumtreiber waren reine Nullen. Keiner von beiden wies irgendwelche individuellen Merkmale auf. Sie waren absolut austauschbar. Nichts weiter als zwei verlorene Seelen in Lumpen, die der Nachtwind vor sich hertrieb, auf der Suche nach Ärger oder dem Tod. Was auch immer das Schicksal für sie bereithielt.
Bei Tageslicht wären sie lediglich zwei Vagabunden gewesen, die sich vor ihren eigenen Schatten fürchteten, doch zu dieser nächtlichen Stunde waren selbst sie gefährlich. Aber Diaz wusste genau, dass Zato der ausschlaggebende Faktor war. Derjenige, der über Leben und Tod entschied.
Zato entblößte eine Reihe verrottender Zähne zu einem hämischen Grinsen. »Ja, mein Lieber. Ich würde sagen, es ist längst Schlafenszeit für dich.«
Genau in diesem Moment rannte eine fette Ratte in Augenhöhe über die Friedhofsmauer. Sie verharrte direkt vor Diaz und dem bewaffneten Psychopathen, reckte die Schnauze in die Höhe und wackelte mit ihren Schnurrhaaren wie ein Vaudeville-Darsteller mit seinem obligatorischen Schnauzbart. Ihre gebleckten Zähne schimmerten bösartig, ihr nackter Schwanz ragte wie die erhobene Peitsche eines Dompteurs in die Luft.
Ich muss mich mit dem Mezcal zurückhalten , fuhr es Diaz durch den Kopf.
Zatos Reaktion auf das Erscheinen der Ratte traf ihn völlig unerwartet. Der Psychopath stieß einen schrillen Schrei aus, als hätte er den Leibhaftigen erblickt, und fiel auf die Knie.
Diaz nutzte Zatos Aussetzer und sprang zurück durch das Friedhofstor, die Finger um den Griff der Glock in seinem linken Schulterholster geschlossen.
Emile Zato schüttelte seine Lähmung schnell wieder ab und begann, wild um sich zu schießen.
Die Ratte explodierte in einer Wolke aus Blut und Fell. Zwei weitere Kugeln jagten in die Dunkelheit, die Diaz verschluckt hatte.
Diaz huschte hinter einen makellos weißen Grabstein und warf sich flach zu Boden. In seiner Hast schlug er mit dem Handrücken gegen die Kante des Grabsteins, öffnete
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