Die Tote von San Miguel
entweder hügelaufwärts oder hügelabwärts zu gehen. Sie folgten ihr, Arm in Arm wie Revolutionskameraden, hügelaufwärts in Richtung von Consuelas Hotel. Ihre Schritte waren etwas unsicher, was teils an der Großzügigkeit des Barkeepers beim Mixen der Margaritas, teils an dem unebenen Straßenpflaster lag.
»Ich muss mal pinkeln«, flüsterte Consuela, als sie an einem dunklen Türeingang vorbeikamen.
Sie zog ungeniert ihr Kleid hoch, hockte sich hin und pinkelte auf die Pflastersteine. Ihr Urin spritzte über das Pflaster wie der Strahl eines Trinkbrunnens, dessen Verschlussventil klemmt. Als sie sich wieder aufrichtete, fuhr sie mit der Hand über den Reißverschluss von Diaz’ Hose und bestärkte so dessen plötzliche Erektion.
»Oh Dios!« , keuchte sie und presste sich gegen ihn. Er legte seine Hände auf ihren nackten Hintern. Ihre Haut fühlte sich weich und kühl unter seinen Fingern an. Sie griff ihm in den Hosenschlitz und zerrte seinen Schwanz hervor. Dann schob sie sich rückwärts gegen die Wand, ein Bein gehoben und um seine Hüften gehakt. »Besorg es mir jetzt!«, flüsterte sie kehlig.
Einen Moment lang war Diaz fast willenlos, ein Gefangener seiner Triebe. Doch dann erschien vor seinem geistigen Auge der entseelte Leichnam Amanda Smallwoods auf einer Metallplatte, der kälter war als das Metall, auf dem sie lag, jemals würde sein können. Er schob Consuelas Hand zurück.
»Es war ein langer Tag«, sagte er leise.
Kapitel 13
Nachdem Consuela die Straße so schnell hinaufgestöckelt war, wie es ihre zehn Zentimeter hohen Stilettoabsätze zuließen, beschloss Diaz, nicht sofort nach Hause zu gehen. Sein Mund schmerzte, wo sie ihn geschlagen hatte. Er hatte sich an einem seiner Schneidezähne die Lippe aufgeschlitzt, und seine Hemdbrust war blutverschmiert. Vielleicht war es aber auch die scharfe Kante ihres Rings mit dem Totenkopf aus Gold und den Augen aus Diamanten gewesen, der die Schnittwunde verursacht hatte.
Kalt wie ein Eisblock , dachte er. Im Grunde seines Herzens war Diaz Romantiker. Er brauchte mehr als nur einen gefühllosen Fick.
Vor dem städtischen Friedhof mit seinen weiß getünchten Mauern stieg er aus einem Taxi. Er folgte einem gewundenen Pfad durch die engen Gräberparzellen, vorbei an kleinen schmiedeeisernen Zäunen und flachen, weißen Mausoleen. Die Schatten, die das Laub der Bäume im Mondlicht warf, tanzten im Wind.
Nach kurzer Zeit erreichte er das Grab seiner Tochter Estella, ein sargförmiges Steingewölbe, das von einem massiven Kreuz überragt wurde. Die weiß gekalkte Oberfläche schien im Sternenlicht zu pulsieren und Signale in die Tiefen des Alls auszusenden. Diaz kratzte sich am Kinn und blickte in den Nachthimmel. Die Unermesslichkeit rührte etwas tief in ihm Verborgenes, erfüllte ihn mit einer unbestimmten Furcht. Er ließ sich auf dem Rand des flachen Mausoleums nieder. Der Stein war kalt und hart. Diaz beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf seinen Oberschenkeln ab.
»Estella. Estella.« Er sprach ihren Namen mit einem kaum hörbaren Flüstern aus. Doch er wusste nicht, was er als Nächstes sagen oder auch nur denken sollte.
»Wage es ja nicht, deine Schuldgefühle Estella aufzubürden, Arschloch.«
Diese Stimme! Sie hallte in seinem Schädel nach wie eine metallische Fledermaus, die in einer schweren schmiedeeisernen Glocke herumflatterte.
Seine Augen zuckten nach links und dann nach rechts, aber er konnte niemanden in den tiefen Schatten des Friedhofs entdecken. Wo, zum Teufel, steckte Reyna, seine Ex? Kniete sie vielleicht hinter einem der Gräber? Wenn er den Gerüchten Glauben schenken durfte, lag sie in letzter Zeit ziemlich häufig auf den Knien. Und ging nicht mehr zur Heiligen Kommunion.
Er erhob sich. »Niemand hat dich gebeten, dich einzumischen. Das hier betrifft nur Estella und mich.«
»Sie hat es nicht nötig, noch mehr Zeit mit dir zu verbringen. Hättest du sie nicht an diesem Silvesterabend mit in den jardín genommen …«
»Hör auf damit!«
»Ich soll aufhören, nachdem du mein Leben zerstört hast?«
So melodramatisch. Reyna war unter ständiger Berieselung von Univision telenovelas aufgewachsen.
In der Dunkelheit konnte Diaz nicht ausmachen, woher ihre Stimme kam. Manchmal schien ihr Ursprung direkt in seinem Kopf zu sein.
Aber das war ein alter Trick von ihr.
»Komm raus aus deinem Versteck, Reyna«, sagte er. »Steh auf, damit ich dir eine scheuern kann.«
»Wie immer eine niedrige Schwelle zur
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