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Die Tote von San Miguel

Die Tote von San Miguel

Titel: Die Tote von San Miguel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Woods
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Gewalttätigkeit.Das ist es, was deine Arbeit dir antut, Hector. Je mehr Gewalt du auf den Straßen und in den Gefängnissen erlebst, desto gefühlskälter wirst du. Und dann beginnst du, die Gewalt zu genießen. Es bereitet dir Freude, irgendeinem Kerl in die Eier zu treten, nur weil er einem gringo Gras verkauft hat, um mit dem Geld seine Miete bezahlen zu können. Oder irgendjemanden mit dem Kopf gegen eine Wand zu rammen, bis sich sein Gehirn in Guavebrei verwandelt, nur weil er dich während eines Verkehrsstaus falsch angesehen hat. So als wärst du einem schwulen S&M-Club beigetreten. Wie in diesem Film mit Al Pacino. Wie hieß der noch mal? Cruising . Obwohl rein gar nichts an dir an Al Pacino erinnert. Nicht einmal annähernd.«
    »Und schwul bin ich auch nicht«, erwiderte er.
    Eine typisch feministische Verunglimpfung. Er konnte nur hoffen, dass sie nicht bewaffnet war und gleich anfing, blindlings in seine Richtung zu feuern. Seine Augen suchten immer noch die tiefsten Schatten ab.
    »Okay«, sagte er. »Ich bin nicht perfekt. Aber das bist du auch nicht.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Zeig dich, Reyna.«
    »Ich bin in dir.«
    »Das ist wirklich lustig. Wie so eine Art dämonische Besessenheit?«
    »Nein, Arschloch. Wie eine perverse Phantasie, die sich Dr. Sigmund Freud zusammengesponnen hat.«
    »Ich kann nicht mit dir sprechen, Reyna.«
    »Das war schon immer dein Problem.«
    »Genau wie deine Sauferei.«
    Vor seinem geistigen Auge erschien plötzlich die Bühne eines Kasperletheaters. Zwei Marionetten, die eine unverkennbar eine Kopie von Hector Diaz, die andere eine überzeichneteReyna, droschen erbarmungslos aufeinander ein.
    Das ist verrückt , überlegte Diaz. Reyna lebt jetzt in Cuernavaca . Das war mehr als vierhundert Kilometer von San Miguel entfernt. Sie konnte unmöglich um ein Uhr nach Mitternacht auf dem Stadtfriedhof herumschleichen. Diese Unterhaltung findet nur in meinem verdrehten Hirn statt. Was bedeutet, dass es sich langsam endgültig in einen Haufen Scheiße verwandelt .
    Vielleicht aber war es auch nur eine hartnäckige Nebenwirkung der Infektion in seinen Gedärmen und die von seinem Schlafmangel herrührende Erschöpfung. Nachdem er seinen psychotischen Schub als solchen akzeptiert hatte, konnte er den Spuk auch wieder verschwinden lassen.
    »Okay«, sagte er ruhig mit lauter Stimme. »Verschwinde, Reyna. Ich muss mit Estella sprechen.«
    Die Bühne des Kasperletheaters zerstob in einer Wolke aus Rauch, explodierenden Sternen und Ausrufezeichen.
    Diaz’ Stirn war schweißbedeckt, seine Unterarme klatschnass. Er zündete sich eine Zigarette an und paffte fahrig.
    »Estella, Liebling. Würdest du noch leben, wärst du heute ungefähr neunzehn Jahre alt. Fast das Alter der jungen Frau, die letzte Nacht umgebracht und im jardín abgelegt worden ist. Es war unmöglich, den Ausgangspunkt der verirrten Kugel zu finden, die an diesem Silvesterabend dein Herz durchschlagen hat. Aber dieser Mord ist anders. Er ist nicht zufällig geschehen, sondern mit brutaler Absicht und Präzision durchgeführt worden. Ich werde den Bastard erwischen, der es getan hat. Das schwöre ich.«
    »Tu, was du für richtig hältst«, erwiderte Estella.
    Mit einem Gefühl, als wäre es ihm gelungen, seine Mistkugel auf die Spitze des Berges hinaufzurollen, richtete sichDiaz auf, klopfte sich die Knie ab und wischte sich kleine Plättchen der weißen Kalkfarbe, die sich von der Grabplatte gelöst hatten, von seinem Hosenboden. Jetzt würde er wirklich nach Hause fahren und ins Bett gehen können.
    Er hatte das Gefühl, dass es schon bald einen Durchbruch im Fall Amanda Smallwood geben würde. Er musste einfach nur weiter am Ball bleiben.
    Aus dem Gedächtnis heraus folgte er dem verschlungenen Weg durch die Gräber, den er auf dem Hinweg eingeschlagen hatte. Nur ein einziges Mal landete er in einer Sackgasse und musste ein Stück zurückgehen.
    Als er mit schnellen Schritten den bogenförmigen Eingang des Friedhofs durchquerte, stieß er beinahe mit einem langsam dahinschlurfenden nächtlichen Besucher zusammen, der einen schmuddeligen Schaffellumhang und eine schwarze oder dunkelblaue weit geschnittene Hose aus Kunstseide trug. Seine Füße steckten in handgemachten, aus alten LKW-Reifen geschnittenen huaraches .
    Eine einzelne schwache Straßenlaterne spendete spärliches Licht. »Hola« , grüßte der Fremde und hob überrascht die Hände. Er blieb so abrupt stehen, dass er den schmalen Pfad

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