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Die Tote von San Miguel

Die Tote von San Miguel

Titel: Die Tote von San Miguel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Woods
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wie in Dallas. Rumgehangen und gemodelt, sobald sie Geld gebraucht hat. Und was junge Frauen heutzutage auch immer sonst so tun.«
    »War das die Zeit, als Sie erkrankt sind?«
    »Was meinen Sie damit, dass ich erkrankt bin?«
    »Amandas Mitbewohnerin hat gesagt, dass Amanda häufig nach Dallas geflogen ist, weil Sie unheilbar krank wären. Nicht mehr lange zu leben hätten.«
    »Also, da hat sich ihre Freundin geirrt. Ich habe ein Unternehmen, um das ich mich kümmern muss. Damals hat mir Amanda den Vorschlag gemacht, die Werke einiger Künstler, die sie in San Miguel kennengelernt hatte, in meine Angebotspalette aufzunehmen. Warum eigentlich nicht, habe ich mir gedacht. Sie hat mir ein paar Bilder auf Kommissionsbasis mitgebracht, die ich auf Anhieb verkauft habe. An einen neuen Klienten. Also habe ich ihr gesagt, sie sollte mir mehr davon besorgen. Am Ende von …«
    Smallwoods Stimme brach. Er zog die Beine bis zur Brust hoch, schlang die Arme um sie, vergrub das Gesicht zwischen den Knien und verwandelte sich in einen riesigen Haufen menschlichen Elends. Der Metallstuhl ächzte unter  seinem Gewicht, als er vor und zurück zu wiegen begann.
    »Hätte ich sie doch nur überredet, nach Dallas zurückzukommen«, jammerte er. »Dann wäre sie heute noch am Leben.«
    Plötzlich sprang er auf und umklammerte das Balkongeländer, ein gramerfüllter Riese, der das Liebste in seinem Leben verloren hatte. Der viel zu kleine Bademantel klaffte vor seinem Cowboyschwanz auf, der so schlaff wie ein Windsack bei völliger Windstille zwischen seinen Schenkeln herabbaumelte. Das schmiedeeiserne Balkongeländer wackelte bedenklich im Griff seiner massigen Cowboyhände, die daran rüttelten, als wollten sie es aus seiner Betonverankerung reißen. Heilige Scheiße! , durchzuckte es Diaz. Gleich springt er über das Geländer!
    »Ich bin gekommen, um meine Tochter nach Hause zu holen!«, heulte Smallwood, als wollte er es den Hotelgästen erklären, die am Swimmingpool unter ihm umherschlenderten. Dem leeren Himmel. Dem unbeseelten gleichgültigen Universum. Er wand sich hin und her, um Armandos und Diaz’ Hände abzuschütteln, die sich mit ihrem vollen Gewicht an seinen Armen festklammerten. »Ich möchte sie einfach nur heimholen! Sie in Texas begraben, wo sie geboren worden ist!«
    »Natürlich«, sagte Diaz besänftigend. »Wir können gleich aufbrechen und alle nötigen Vorkehrungen treffen. Aber Sie müssen sich zuerst anziehen.«
    Unvermittelt beruhigte sich Smallwood wieder. »Wenn Sie mich belügen, bringe ich Sie um«, drohte er leise.
    »Das hat irgendjemand während der letzten vierundzwanzig Stunden bereits zweimal versucht«, erwiderte Diaz. »Viel Glück dabei.«
    Sie kehrten ins Hotelzimmer zurück, wo sich Smallwood anzukleiden begann.
    Alle weiteren Fragen würden vorerst warten müssen, beschloss Diaz. Doch er war fest davon überzeugt, dass Amandas Vater Dinge über sie wusste, von denen niemand sonstetwas ahnte – Dinge, die ihm einen tieferen Einblick in ihr Leben hier in San Miguel ermöglichen würden. Um einen Zugang zu der unbekannten Welt zu finden, in der sie gelebt hatte.

Kapitel 18
    Diaz rief Dr. Manuel Valdemario, San Miguels renommiertesten Bestatter – und zudem ein entfernter Cousin –, vom Telefon in Bass Smallwoods Zimmer aus an. Manuel erklärte sich bereit, sie in einer halben Stunde zu empfangen.
    Sie verließen das Hotel, folgten der überdachten Zufahrt und kamen auf einer kleinen, von hohen Eukalyptusbäumen gesäumten Plaza heraus, auf der die einheimischen Künstler an den Vormittagen des Wochenendes ihre Werke feilboten. Jetzt war der Platz bis auf einen Hund verwaist, der im trockenen Becken eines Springbrunnens schlief. So lange sich Diaz erinnern konnte, war nie ein Tropfen Wasser aus den Messingrohren geflossen, eins von zahlreichen Projekten, die das typisch mexikanische Schicksal ereilt hatte, nie zur Vollendung zu gelangen.
    Von der Plaza aus führte ihr Weg sie weiter durch die steilen kopfsteingepflasterten Straßen der Stadt.
    Die Siestazeit war vorüber. Die Geschäfte öffneten wieder ihre Türen. Immer noch halb verschlafene Kinder beobachteten die vorbeiströmenden Touristen aus müden Augen. PKW und Lieferwagen füllten erneut die schmalen Straßen, zwangen die Passanten dazu, hintereinander zu gehen, verpesteten die dünne Gebirgsluft mit ihren Abgasen. Durch die Perlenvorhänge in der offenen Tür einer privaten taqueria drang der Geruch von gegrilltem

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