Die Tote von San Miguel
Zimmerservice, der diesmal eine Flasche Johnnie Walker Black Label und drei Gläser brachte und die Teekanne samt Untertasse wieder mitnahm.
»Wie ich erfahren habe, ist Ihre Tochter vor einem Jahr nach San Miguel gezogen«, begann Diaz. »Warum?«
»Weil sie zu Hause unglücklich war«, sagte Smallwood. »Sie wollte ein neues Leben beginnen.«
»Wegen einer Liebesbeziehung, die in die Brüche gegangen ist?«
Smallwood blickte Diaz mit plötzlich aufflammender Feindseligkeit an. »Wer, zur Hölle, sind Sie überhaupt?«
»Diaz. Inspector der Polizei. Ich ermittle in dem Mord an Ihrer Tochter.«
Verwirrung spiegelte sich in Smallwoods Augen wider. Dann lüftete sich der Schleier. »Ach, richtig.«
»Sie haben gerade über Amanda gesprochen.«
»Yeah. Also, ich schätze, es war vor ungefähr einem Jahr, dass der Typ, mit dem sie damals gegangen ist, sich mit irgendeinem Barmädchen aus dem Staub gemacht hat. Oder so ähnlich. Zu dieser Zeit hatte ihre Mutter bereits alles zerstört,was es auch immer an Glück in unserer kleinen Familie gegeben haben mochte.«
»Wie das?«
»Alice war ständig geil. So ein Typ mit einem großkotzigen Palast am Ufer eines sumpfigen Sees meinte, er könnte sie da kratzen, wo es sie juckte. Außer seinem Haus hatte er noch eine zehn Meter lange Motoryacht auf dem See. Alice ist abgehauen, zu ihm gezogen und hat sich in der Yacht eingerichtet. Während einer Party zum vierten Juli ist sie dann besoffen ins Wasser gefallen und ertrunken. Danach ist alles zum Teufel gegangen.«
Smallwood leerte sein Glas in einem Zug, füllte es erneut bis zur Hälfte und ließ den dunklen Alkohol kreisen, vielleicht in der Hoffnung, in den Strudel hineingezogen zu werden und ebenfalls zu ertrinken. Diaz versuchte, sich zu erinnern, wie ihm zumute gewesen war, nachdem Reyna ihn verlassen hatte. Irgendwie erleichtert statt verzweifelt. Als hätte er Ballast abgeworfen und nicht etwa einen Verlust erlitten. Er verspürte nicht das Bedürfnis, sich weitere Einzelheiten über Smallwoods verpfuschte Ehe anzuhören. Es wurde Zeit, den Morast am Grunde des Teichs aufzuwühlen.
»Ihre Frau ist also in das große Haus mit Seeblick gezogen. Dann hat der Freund Ihrer Tochter mit ihr Schluss gemacht. War das der Punkt, an dem sie zu dem Schluss gekommen ist, lesbisch zu sein?«
Die Frage verhallte ungehört. Smallwood war geistig weit weggetreten. Eine Träne lief eine seiner unrasierten Wangen hinab. Diaz musste ihn wieder ins Hier und Jetzt zurückreißen.
»Soweit ich weiß, betreiben Sie immer noch eine Kunstgalerie in Dallas«, sagte er.
Es dauerte eine Weile, bis Smallwoods Augen wieder halbwegsklar wurden. »Was sollte ich denn sonst tun?«, fragte er barsch. »Vielleicht beschissene Banken ausrauben? Kunst zu verhökern ist nun mal alles, was ich kann.«
»Wussten Sie, dass Amanda als künstlerisches Modell in San Miguel gearbeitet hat?«
»Das hat sie bereits in Dallas getan.«
»Unbekleidet?«
»Seit ihrem achtzehnten Geburtstag hat Amanda so ziemlich alles gemacht, was ihr gerade in den Sinn gekommen ist.«
»Und Sie hatten keine Einwände?«
»Ich wollte nicht auch noch meine Tochter verlieren.«
Aber du hast sie trotzdem verloren , dachte Diaz.
Smallwoods Gesicht wirkte leer. Diaz war überzeugt, dass sich irgendwo unter der undurchsichtigen Oberfläche ein Geheimnis verbarg. Alle Familien hatten ihre Geheimnisse. Man musste nur den richtigen Ansatz finden, um sie ans Tageslicht zerren zu können, so wie man das Gift aus einem Schlangenbiss saugte. Wäre Ortiz hier gewesen, hätten er und Smallwood sich garantiert geprügelt. Danach wären Ortiz’ modisches Hemd und Krawatte, die jedem Hollywoodbullen zur Ehre gereichen würden, blutbesudelt und unrettbar ruiniert gewesen.
Die Whiskeyflasche war bereits zu einem Drittel leer. Armando hatte sein Notizbuch gezückt und schrieb hektisch mit. Vielleicht sollte ich ihn auf einen Kurzschriftkurs schicken , überlegte Diaz.
»Eines Tages ist Amanda dann einfach verschwunden«, fuhr Smallwood fort. »Eine Woche später hat sie mir eine Karte aus L. A. geschickt. Und nach ein paar Monaten dann noch eine. Mit einer ausländischen Briefmarke darauf. Aus diesem Drecksloch hier.«
»Wissen Sie, ob sie einen Künstler namens Gregorowitsch in L. A. gekannt hat?«
Smallwood schürzte die Lippen und stieß ein lautes verächtliches Schnauben aus. Der Alkohol zeigte merkwürdige Auswirkungen.
»Was hat sie in San Miguel getrieben?«
»Das Gleiche
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