Die Tote von San Miguel
arbeiten?
Mit Diaz als Dolmetscher wählte Smallwood einen unscheinbaren dunklen, aber teuren Sarg aus. Dr. Valdemario versprach, sich um den Leichnam zu kümmern, sobald ihn das Leichenschauhaus von Guanajuato freigab, und alle erforderlichen Vorkehrungen für seine schnelle Überführung nach Dallas zu treffen. »Er« war das Wort, das er benutzte. »Er« für Leichnam, nicht »sie« für Amanda. Amanda Smallwood war nicht länger eine Person, nur noch eine leere tote Hülle, deren Seele durch das Reich der Schatten wanderte.
Nachdem der Papierkram erledigt und alle Formulare unterschrieben waren, zog Smallwood seine American Express Card aus der Tasche.
» Solamente Bargeld.«
Smallwoods Fingerknöchel wurden weiß, als er die Hände vor Wut zu Fäusten ballte. Diaz biss in Erwartung einer Szene die Zähne zusammen.
»Es bereitet Ihnen wohl Schwierigkeiten, von den Toten Geld einzutreiben, was, Sie kleiner Bastard?«, fauchte Smallwood.
Diaz rief Armando zu sich. Mit gemeinsamen Kräften drückten sie den Texaner in das Sofa. Dann zog er Manuel in eine dunkle Ecke und entschuldigte sich bei ihm für Smallwood. Der Tod eines Kindes, ein gringo mit schlechten Manieren und so weiter.
Valdemario nickte, bestand aber weiterhin auf Bargeld. Man brachte eine Flasche Brandy und schenkte Smallwood mehrere Gläser ein. Je mehr er trank, desto mehr verwandelte sich seine Wut in weinerliche Verzweiflung und schließlich in stumme Lethargie.
Nachdem sie ihn mit einigen Ohrfeigen wieder halbwegs zu sich gebracht hatten, klapperte er mit Diaz’ Hilfe mehrere Geldautomaten ab, bis sie die benötigte Summe zusammenbekommen hatten. Sie lieferten das Geld bei Valdemario ab und traten den deprimierenden Rückweg zum Hotel an.
Es schien Diaz, als hätte der Kummer alle Kraft aus dem riesigen norteamericano herausgesaugt. Er fragte sich, wie er sich fühlen würde, wenn sein Vater Alonzo eines Tages starb. Sie waren einander in Zuneigung verbunden. Doch Alonzos Tod würde dem normalen Verlauf der Dinge folgen und nicht mit dem Verlust eines Kindes vergleichbar sein. Ein Kind durch einen Mord zu verlieren! Diaz wusste aus eigener Erfahrung, wie sich das anfühlte.
Im jardín war die fiesta , die sich den ganzen Tag über wie eine Gewitterwolke immer weiter aufgebläht hatte, mittlerweile in vollem Gange. Indianer in vollständiger aztekischer Tracht, andere als Satan oder wie Totenköpfe kostümiert, wiederum andere bis auf eine ausgefeilte Körperbemalungpraktisch nackt, wirbelten und tanzten zu hämmernden Trommelschlägen. Feuerschlucker spuckten Feuer, Wahrsager sagten die Zukunft voraus, Zauberer zogen Kindern Geldmünzen aus den Ohren. Zuschauer saßen überall auf den Steingeländern des jardín oder lehnten unter den schattigen Säulengängen, die die große Plaza kreisförmig umgaben.
Alle Cafés und Restaurants mit freiem Blick auf die Plaza waren bis auf den letzten Platz besetzt. Vor der Hauptkathedrale waren blumenbekränzte Holzbögen aufgestellt worden, bewacht von den Bauern, die sie selbst hergestellt hatten. In der Kathedrale murmelten Priester vom Vatikan gesegnete Gebete, während in den steinernen Gewölben die Trommelschläge heidnischer Rhythmen von den Straßen widerhallten.
In einer Ecke der Plaza ragte ein Café wie eine Bühne über die Straßenebene. Plötzlich wurde ein Tisch auf der Vorderseite frei. Smallwood umklammerte das Geländer, zog sich daran empor und besetzte einen der leeren Stühle. Zwischen der Bedienung und mehreren Gruppen von Gästen, die geduldig darauf gewartet hatten, dass ein Tisch frei wurde, entbrannte ein mit lateinamerikanischer Leidenschaft geführter wilder Streit. Smallwood weigerte sich stur, seinen Platz wieder zu räumen.
Heute spiele ich den Babysitter , dachte Diaz. Morgen bin ich wieder ein Bulle. Er steckte dem Manager des Cafés, der ein alter Bekannter und Sozialist war, einen Hundert- peso -Schein zu. Für die am lautesten protestierenden Gäste aus der Warteschlange wurden andere freie Tische gefunden. Diaz bestellte zwei cervezas und einen doppelten Scotch. Smallwood hatte sich in seinem Stuhl vorgebeugt, völlig gefesselt vom Anblick der saturnalischen Feierlichkeiten.
»Hab’ noch nie so was gesehen«, murmelte er. »Nicht mal bei den Cowboyspielen.«
»Sí, es muy interessante« , erwiderte Diaz unverbindlich. Eine dunkle Vorahnung schwirrte beharrlich in seinem Kopf herum wie ein Insekt, dem ein Fliegengitter den Weg in die Freiheit versperrte.
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