Die Tote von San Miguel
Zimmers her aufmerksam zu.
Nachdem er zu Ende gelesen hatte, wollte er eigentlich gehen, aber Olivia bestand darauf, ihm den neusten Komposthaufen zu zeigen, den sie im Garten angelegt hatte. Eierschalen und Zitronenbaumrinde, darüber eine Lage Humus. Diaz fragte sich, was wohl darunter hauste. Vermutlich die gleichen Würmer, die sich vom Fleisch der Toten ernährten. Er verzog das Gesicht.
»Hältst du nichts von fortschrittlichen Ideen?«, fragte Olivia. »Alle Bioabfälle aus unserem Haushalt kehren wieder in die Erde zurück. Das ist eine befriedigendere Beschäftigung, als seine Zeit mit Gangstern, Prostituierten oder Mördern zu verbringen.«
»Alles eine Frage der Perspektive«, erwiderte Diaz. »Irgendjemand muss schließlich die kleinen Geschäftsleute beschützen und die unschuldig zu Tode Gekommenen rächen. Und Prostituierte sind nun mal ein fester Bestandteil des Lebens, so wie Zahnschmerzen und Steuerbescheide.«
Olivia wirkte nicht überzeugt. »Du solltest wieder heiraten, Hector. Das würde dich besänftigen. Und dich davor bewahren, dir eine Geschlechtskrankheit einzufangen.«
»Ich muss allmählich los.«
»Ich nehme an, du machst Überstunden wegen dem Mord an dieser norteamericana . Es freut mich, dass du trotzdem ein bisschen Zeit für uns gefunden hast. Die Mädchen haben dich sehr lieb.« Sie küsste ihn auf die Wange. Ihr Atem roch nach Pfefferminze. »Halt dich von Ärger fern, Hector.«
»Sag Maximino, ich rufe ihn an, um mit ihm ein Glas trinken zu gehen.«
Bevor sie gegen diesen ruchlosen Vorschlag protestieren konnte, verließ er den Garten durch ein Zauntor und ging zu seinem alten Wrangler.
Diaz schaltete in den zweiten Gang hinunter, um nicht den Schwung auf der steilen Kopfsteinpflasterstraße zu verlieren, die zum kolonialen Stadtzentrum führte. Einige Sekunden später musste er das Lenkrad hart herumreißen, weil er sonst einen im Rinnstein schlafenden Indianer überfahren hätte. Ein Opfer der fiesta oder eine verlorene Seele?
Bei dem Stichwort »verlorene Seele« wurde ihm bewusst, dass er immer noch nichts von Armando gehört hatte. War Smallwood bisher noch nicht ins Hotel zurückgekehrt? Oder hatte Armando schon wieder gepatzt?
Verärgert trat Diaz das Gaspedal hinunter und machte einen Umweg über das Hotel, in dem sie den Texaner untergebracht hatten. Als er dort eintraf, teilte ihm der Dienst tuende Portier mit, dass señor Smallwood laut Computereintrag bereits am frühen Morgen abgereist war. Da seine Schicht erst vor einer halben Stunde begonnen hatte, wusste er nada , was zuvor geschehen war.
Diaz kam zu dem Schluss, dass es Zeit für ein ernstes Gespräch mit Armando wurde. Irgendjemand anderes würde solange die Ermittlungen fortführen müssen.
Als sie den Nachtportier ans Telefon bekamen, konnte er ihnen lediglich mitteilen, dass Bass Smallwood in den Fond einer dunklen Limousine gestiegen war, die auf der anderen Straßenseite geparkt hatte. Damit verlor sich seine Spur.
Diaz fiel etwas anderes ein.
Zehn Minuten später hielt er in der Sackgasse vor Brian Dillingers auffälligem Wohnsitz. Es war ein aus Fertigbeton- und polierten Holzelementen erbautes Haus mit einem verblüffend bunten, abstrakt gemusterten Glasfenster über der Eingangstür. Da die Straße vor dem Haus sehr schmal war, musste Diaz seinen Wrangler mit zwei Reifen auf dem hohen Bordstein stehend parken. Der Tag neigte sich dem Ende entgegen. Die Wolken verfärbten sich in leuchtenden Farben.
Dillinger persönlich öffnete die Tür. Er trug ein Green-Day-T-Shirt und eine Freizeithose. Sein Haar war völlig zerzaust. Er versperrte Diaz den Zutritt ins Haus, die Stirn missbilligend in Falten gezogen.
»Inspector, was für ein ungünstiger Zeitpunkt für einen Besuch. Hat das nicht Zeit bis morgen?«
»Ich muss unbedingt ein paar Punkte bezüglich unserer früheren Unterhaltung klären.«
»Natürlich. Ich werde in Ihr Büro kommen. Sagen wir, um zehn Uhr vormittags?«
»Es wird nur ein paar Minuten dauern.«
Sie starrten einander an. Diaz fragte sich, ob es das war, was man in der Filmbranche einen Mexican standoff nannte.
Dillinger blinzelte zuerst. »In Ordnung«, murmelte er. »Treten Sie ein.«
Er führte Diaz durch einen Gang und zwei Glasflügeltüren hindurch in einen Raum mit einer hohen Decke und schloss die Türen hinter ihnen. Bis auf eins von seinen plakativen Nacktgemälden wurden die Wände von Glasvitrinen eingenommen. Direkt im Eingangsbereich standen zwei im
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