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Die Tote von San Miguel

Die Tote von San Miguel

Titel: Die Tote von San Miguel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Woods
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Textnachricht. Eine Adresse am anderen Ende der Stadt. Unter normalen Umständen hätte er seinen Fahrer gerufen und wäre stilvoll vor dem mondänen palacio erschienen. Nur war das leider ausgerechnet Felicia.
    »Ruf mir ein Taxi, Armleuchter«, knurrte er Felix an.
    Manchmal neigte er aus Verzweiflung heraus zu gedanklichen Kurzschlüssen und zu existentiellem Überdruss, doch im Moment fühlte er sich einfach nur streitsüchtig. Ganz allgemein angekotzt. Zum Glück für seine Mannschaft hatte er seine Dienstwaffe bereits eingesteckt und musste nicht mehr ins Revier zurückkehren, wo er den anderen garantiert die Hölle heißgemacht hätte.
    Nach einer endlos scheinenden Zeit ertönte draußen vor der Bar eine Autohupe.
    Diaz klaubte das Wechselgeld auf dem Tresen zusammen und ließ nur zwei korrodierte kleine Münzen liegen. Ein kümmerlicher Betrag. Die Münzen starrten ihn wie die Augen eines Besessenen an, erinnerten ihn an das furchteinflößende Bild eines Hexenzirkels von Goya  – dem Maler, nicht Felicia. Er hatte es während seiner ersten und einzigen Reise nach Spanien vor ein paar Jahren im Prado gesehen.
    Draußen hupte das Taxi erneut.
    Diaz trat aus dem Halbdunkel der Bar ins helle Tageslichthinaus, stapfte über den Bürgersteig zur Hintertür auf der Beifahrerseite, riss sie auf und schob sich auf die Rücksitzbank, auf der die Glut unzähliger Zigarren ihre Spuren in Form von Brandlöchern hinterlassen hatte.
    »Palacio St. Jude«, befahl er, bevor er bemerkte, dass der Fahrer ein gerade einmal sechzehnjähriger Bursche war, der vermutlich ungefähr genauso gut über das alte San Miguel Bescheid wusste wie der Regierungschef von Usbekistan.
    »Hey, Pops, wissen Sie vielleicht auch, in welcher Straße das ist?«, fragte der Junge.
    Diaz nannte ihm die Adresse und drückte ihm eine Zehn- peso -Münze in die Hand, auf der ein Adler abgebildet war, der eine Klapperschlange fraß. »Das ist ein Polizeieinsatz.«
    »Was immer Sie sagen. Rechnen Sie mit einer wilden Schießerei?«
    »Wovon redest du da?«
    »Sie wissen schon, so wie in diesem Film von Robert Rodriguez, El Mariachi .«
    »Magst du Filme?«, erkundigte sich Diaz.
    »Manchmal.«
    »Geht mir genauso. Ich halte nicht viel von El Mariachi . War mir viel zu unrealistisch.«
    Sie umrundeten mit quietschenden Reifen eine Straßenkreuzung. Die Fliehkräfte zerrten Diaz zur Seite. »Hey!«, rief er. »Etwas langsamer!«
    Der junge Fahrer warf einen Blick in den Rückspiegel. »Wahrscheinlich gefallen Ihnen eher solche anspruchsvollen Bullenfilme wie L. A. Confidential .«
    Diaz hatte keine Lust, sich mit einem jugendlichen Straftäter auf eine ausführliche kritische Diskussion über Spielfilme einzulassen. Er sah auf seine Uhr. Sie würden sich verspäten. Aber dies konnte der große Durchbruch in denErmittlungen sein. Vielleicht war Cy Vega Amanda Smallwoods Mörder. Unvermittelt über die Skulptur im Schaufenster von Syd’s Collectibles zu stolpern war ihm so vorgekommen, als hätte er den Hauptgewinn gezogen. Trotzdem nahm er sich vor, keine allzu großen Hoffnungen in Cy Vega zu setzen. Solche Fährten neigten in der Regel wie das Leben selbst dazu, wie eine entkorkte und vergessene Flasche Champagner schnell schal zu werden.
    Das Taxi folgte der steilen Straße an den letzten Häuserblocks vorbei bis zu einer T-förmigen Kreuzung, hinter der der Palacio St. Jude thronte. Von dem mehrstöckigen alten Gebäude aus hatte man freie Sicht auf San Miguel, den friedlichen Laja Rio und die weiten Täler, die sich am Fuß des Hügels ausbreiteten. Am Straßenrand gegenüber dem Haupteingang des palacio saßen Felicia und ein offensichtlich schwuler Mann, der eine körperbetonte Lederjacke trug, an einem klapprig aussehenden Tisch vor einem Imbissstand. Es war der einzige Tisch.
    »Okay, das ist weit genug«, sagte Diaz.
    Der Junge bremste so scharf ab, dass sich Diaz’ Organe geografisch neu positionierten. »Soll ich auf Sie warten?«, fragte er.
    »Als Fahrer bist du echt scheiße«, erwiderte Diaz, allerdings erst, als er ausgestiegen war und mit der Hand am Türgriff neben dem Taxi stand. Er wartete, bis das Taxi weggefahren war, dann überquerte er die Straße, blieb neben dem Tisch stehen und musterte Felicia und den jungen Mann neben ihr. Die beiden blickten ihrerseits zu ihm auf. Der junge Mann trank eine normale Coca-Cola, Felicia eine Cola Light.
    »Schön«, sagte Diaz. »Wie ich sehe, nehmen wir eine kurze Auszeit.«
    »Genau genommen

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