Die Tote von San Miguel
herabbaumelnden Schwanz.
Felicia blinzelte. Das darf doch nicht wahr sein! , schoss es ihr durch den Kopf. Dann wurde ihr bewusst, dass sie das dringende Bedürfnis zu pinkeln verspürte, weil sie vergessen hatte, vor dem Verlassen des Reviers noch einmal auf die Toilette zu gehen.
»Wo ist das Klo?«, fragte sie.
Noch während sie die Frage formulierte, entdeckte sie auch schon eine halb geöffnete Tür hinter der Kochnische, die in einen winzigen gekachelten Raum führte, aus dem ein penetranter Uringestank drang. Felicia durchquerte die abstoßend schmutzige Küchenzeile, in der sich dreckiges Geschirr stapelte, betrat das Badezimmer und zog die Tür hinter sich zu. Uringeschwängerte Luft und Schimmelsporen attackierten ihre Nase. Der winzige Raum war mit einer uralten Kloschüssel und einem Waschbecken ausgestattet, auf dessen Sims sich Unmengen von Cremetuben und Make-up-Döschen drängten. Felicia streifte ihre Hose und den auberginefarbenen Slip herunter, kauerte sich über die Kloschüssel und urinierte. Da es nirgendwo Klopapier oder Papiertücher gab, spritzte sie sich anschließend etwas Wasser aus dem Spülbecken in den Schritt.
Mit einem Seufzer der Erleichterung betätigte sie die Spülung und betrachtete sich einen Moment lang in dem zerkratzten und verschmierten Badezimmerspiegel. Sie fragte sich, ob sie die passenden Augen für einen Bullen hatte. Wirkten sie unterkühlt und bedrohlich genug? Oder einfach nur aufreizend?
Sie kramte das Mobiltelefon aus ihrer grauen Makrameeumhängetasche und drückte die Kurzwahltaste für Hector. Während sie darauf wartete, dass die Verbindung zustande kam, musterte sie erneut ihr Gesicht im Spiegel und kam zu dem Schluss, dass sie einen dunkleren Lidschatten benötigte, der ihr ein einschüchternderes Aussehen verleihen würde.
»Diaz«, meldete sich die Stimme ihres Vorgesetzten.
»Wie viele Drinks hast du mittlerweile intus?«
Ein Schweigen, das so dick und schwer wie die Vorhänge eines Varietétheaters aus den Zeiten des Zweiten Weltkriegswar, senkte sich herab. Dann dröhnte Diaz’ Stimme unwirsch aus dem Hörer: »Ich habe gesagt, um elf Uhr in meinem Büro! Du bist fünfundvierzig Minuten über die Zeit. Wo, zum Teufel, steckst du?«
»Der Name des Bildhauers ist Cy Muñoz Vega. Triff mich in einer Viertelstunde vor seinem palacio .«
» Palacio ? Welcher palacio ?«
»Wir sehen uns dort.« Felicia beendete das Gespräch ohne irgendwelche weiteren Erklärungen. Als Diaz gleich darauf zurückrief, ließ sie die Mailbox anspringen und schickte ihm Vegas Adresse als Textbotschaft.
Diaz konnte sehr einschüchternd sein.
Syd lag auf den Knien und kotzte in eine Messingschüssel, als sie die Badezimmertür öffnete. Sie ließ kaltes Wasser über ein Handtuch laufen und legte es ihm auf die Stirn. »Ich habe gerade mit meinem Boss gesprochen«, sagte sie. »Er besteht darauf, dass Sie mich begleiten. Also, auf geht’s, Macho Man.«
Sie packte ihn am Kragen, zog ihn hoch und wirbelte ihn herum. Dann drehte sie ihm einen Arm auf den Rücken und schob ihn vor sich her in sein Schlafzimmer. Nachdem sie ihm noch heftigere Schmerzen angedroht hatte, schlüpfte er eilig in ein pflaumenfarbenes Baumwollhemd, eine trapezförmig geschnittene hüftlange Jacke aus schwarzem Schweinsleder und eine geradezu unglaublich enge schwarze Jeans, die keinen Zweifel an der imponierenden Größe seines Gehänges ließ. Anschließend rieb er sich Styling-Gel in das kurze braune Haar und zündete sich eine Zigarette an. »Verfügen Sie über mich«, sagte er. »Jetzt gehöre ich Ihnen.«
»Sehr lustig.«
Gerade als sie das Mietshaus verließen, kam ein Taxi die Calle Edgar Poe entlang. Felicia winkte es heran und quetschtesich mit Syd auf die Rücksitzbank. Der Taxifahrer verdrehte die Augen, als sie ihm ihre Dienstmarke zeigte. Das Geld für die Fahrt von der Polizei einzutreiben würde ihn etliche Monate Zeit und Berge an Papierkram kosten.
Es war nur ein Katzensprung bis zu Syd’s Collectibles . Felicia zerrte den Besitzer des Geschäfts aus dem Taxi, ohne die Wagentür zu schließen, und schleifte ihn die drei Stufen zur Ladentür hinauf. Er schloss gehorsam auf und deaktivierte die Alarmanlage. Felicia musste auf eine kleine Trittleiter steigen, um über die Sichtschutzwand greifen zu können, die das Schaufenster von dem Verkaufsraum trennte. Sie beugte sich hinunter, legte die Hände unter jeweils eine Brust auf beiden Seiten der Statue und hob sie an. Die
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