Die Tote von Schoenbrunn
Der Großteil der Trauergäste war ganz in Schwarz gekleidet und hatte sich, trotz des warmen Wetters, mit kostbaren Pelzen und Straußenfedern geschmückt. Seine schönen Begleiterinnen, die Bekannte vom Österreichischen Frauenverein getroffen hatten, verlor Gustav bald aus den Augen.
„Was für ein Aufmarsch der Eitelkeiten“, flüsterte ihm plötzlich eine bekannte Stimme ins Ohr.
„Rudi! Du bist auch da.“
„Schon länger als du. Ich wurde zum Sicherheitsdienst abkommandiert. Was für ein Spektakel“, meinte er leise. „Hat sich Ihre Majestät das verdient?“
Gustav wollte seinen Freund schon zurechtweisen, als er die Ironie, die in Rudis Worten lag, erkannte. „Du hast Recht. Sie hat für das spanische Hofzeremoniell nie viel übrig gehabt. Vor dem strengen Protokoll bei Hof ist sie gern geflohen.“
Der Kaiser und die Mitglieder des Herrscherhauses begaben sich vor der Überführung der Leiche zu den Kapuzinern und wurden am Kaiser-Einfahrtstor von den Patres empfangen.
Nachdem die Meldung, dass der Leichenzug herannahte, erstattet worden war, gingen die allerhöchsten Herrschaften in die Kirche.
„Das Innere der Kapuzinerkirche ist schwarz ausspaliert, selbst die Kniebänke sind schwarz überzogen und der Fußboden ist schwarz belegt. Ich war vorher kurz drinnen, habe alles inspizieren müssen“, sagte Rudi. „Grauenhaft, ich sag’s dir. Dort unten könnte selbst ich das Fürchten lernen.“
„Hör auf zu blödeln. Hast du denn überhaupt kein Feingefühl?“
„Nein, hab ich nicht.“
Als der Leichenwagen an der Hauptpforte der Kapuzinerkirche angelangt war, wurde der Sarg herabgehoben und in die Kirche getragen.
Es folgte die feierliche Einsegnung durch den Kardinal Fürsterzbischof Gruscha und die Sänger der Hofmusikkapelle stimmten das „Libera“ an. Der Sarg wurde von den Kammerdienern und Leiblakaien unter Trauergebeten und Fackelbegleitung in die Gruft hinabgetragen. Alle Angehörigen des Kaiserhauses, die gesamte österreich-ungarische Hocharistokratie und viele ausländische Würdenträger folgten dem Sarg.
Rudi und Gustav mussten, so wie alle anderen Schaulustigen, zurückbleiben.
„In der Gruft wird noch einmal eine Einsegnung vorgenommen“, flüsterte Gustav seinem Freund ins Ohr.
„Ihre Majestät die Kaiserin ist nun schon zum x-ten Mal eingesegnet worden. Wo wird sie bloß landen? Außer dem Himmel gibt es keine Zuflucht, oder hat die Aristokratie auch dort oben ein spezielles Plätzchen?“, spottete Rudi leise.
„Hör auf zu lästern!“
„Nach Beendigung der Gebete wird der Erste Obersthofmeister dem Kapuziner den Schlüssel zum Sarge der allerhöchsten Leiche übergeben und dieselbe in seine Obhut empfehlen, worauf die Begleitung aus der Gruft in die Kirche zurückkehren wird“, sagte Rudi. „Es ist also bald vorbei.“
„Stimmt es, dass es keine separate Herzbestattung geben wird?“
„Fast unglaublich, aber die Habsburger sind anscheinend endlich in der Gegenwart angekommen. Zumindest scheint bis zu ihnen durchgedrungen zu sein, dass man heutzutage Formaldehyd zur Konservierung eines Leichnams verwendet. Der bisher Letzte, dem sie Herz und Eingeweide entfernt haben, war Erzherzog Franz Karl, der Vater von Kaiser Franz Joseph I.“
„Bist du dir sicher?“
„Ja! Warum beschäftigt dich diese Frage so sehr?“
„Die Vorstellung, dass man sie aufschneidet und ihr die inneren Organe entnimmt, war mir schrecklich zuwider. Das Herz ist der Sitz der Seele und des Charakters einer Person.“
„Jetzt bist aber du im tiefsten Mittelalter angelangt. Genau deshalb hat man früher ja diese getrennte Bestattung vorgenommen. Die Körper wurden in der Kapuzinergruft beigesetzt, die Herzen in der Loretokapelle in der Augustinerkirche und die Eingeweide in der Herzogsgruft im Stephansdom. Dadurch hatten gleich drei Kirchen was von den Überresten der Regenten.“
„Du kannst manchmal richtig degoutant sein“, schimpfte Gustav.
Sobald Seine Majestät aus der Gruft kam, verließ der allerhöchste Hof die Kirche, aus der sich dann auch alle übrigen Anwesenden entfernten. Damit war die Beisetzung beendigt.
Gustav und Rudi zündeten sich eine Zigarette an und beobachteten die Abfahrt der hochherrschaftlichen Wagen, die um den Donnerbrunnen geparkt hatten.
Plötzlich erklang ein ohrenbetäubender Knall.
Ein Schuss?
Rudi rannte sofort los. Gustav zögerte, überlegte, ob er seinem Freund folgen oder sich zu Boden werfen sollte.
Ein zweiter Schuss
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