Die Tote von Schoenbrunn
sonst versäumen wir den Beginn der Feierlichkeiten“, wandte er sich hilfesuchend an sein altes Kindermädchen.
Und tatsächlich, kaum hatte sich Josefa eingeschaltet, waren die Damen ausgehfertig.
Sie hängten sich links und rechts bei Gustav ein und spazierten zu Fuß zur Kapuzinergruft. Die drei schönen schwarz in schwarz gekleideten Menschen ernteten so manch bewundernden oder neidischen Blick auf ihrem Weg.
„Ich fürcht mich …
„Ich fürcht mich so“, flüsterte die blutjunge Zofe. „Wollen Sie das wirklich tun? Es ist nicht richtig. Was, wenn uns jemand erwischt?“
„Sei still, du dummes Ding!“, fauchte ihre Herrin sie an. Die Gräfin hatte immer davon geträumt, sich einmal im Leben wie die Kaiserin höchstpersönlich zu fühlen. Heute würde ihr Traum endlich wahr werden. So eine Gelegenheit kam nie mehr wieder.
Zitternd folgte die neue Zofe der Hofdame über die Geheimtreppe hinauf in die Privaträume Ihrer Majestät. Immer wieder blickte sie sich ängstlich um. Dabei schwappte Wasser aus den beiden großen Krügen in ihren Händen auf die Stufen.
„Kannst du nicht aufpassen!“, schimpfte die Gräfin, als ihr Kleid ein paar Spritzer abbekam.
„Entschuldigen Sie bitte. Ich tu das nicht absichtlich. Ich hab die Krüge zu voll gemacht.“
„Damit du nicht so oft auf und ab laufen musst, du faules Geschöpf.“ Trotz ihres Geschimpfes schien die Gräfin bester Laune zu sein. Als die Wanne im Toilettezimmer der Kaiserin halb voll war, ließ sie sich von der Zofe aus ihren Kleidern schälen und von ihr helfen, ein großes, weißes Handtuch um ihr langes, rötlichbraunes Haar zu schlingen. Danach schickte sie das Mädchen um weitere Krüge mit heißem Wasser in die Küche.
In ihrem eigenen Haus hatte sie Fließwasser. Sie fragte sich, wie die Kaiserin es bloß in diesem alten Barockschloss ohne jeglichen modernen Komfort ausgehalten hatte. Wahrscheinlich hatte Ihre Majestät Schönbrunn nicht zuletzt wegen der primitiven Ausstattung gemieden.
„Es wurde schön langsam Zeit. Das Badewasser ist nur mehr lauwarm“, sagte die Gräfin, als die Zofe mit den Krügen zurückkam.
„Entschuldigen S’ bittschön, der Herd ist ausgegangen, ich hab erst wieder nachlegen müssen.“
„In der Tasche meines Kleides steckt ein Brief. Reich ihn mir bitte und dann verschwinde. Ich brauche dich nicht mehr.“
Die Zofe tat, wie ihr geheißen.
Versonnen lächelnd las die Gräfin zum zehnten Mal die paar Zeilen, deren Wortlaut sie ohnehin auswendig wusste.
„Ma Clementine! Erwarte mich während der Begräbnisfeierlichkeiten im kaiserlichen Boudoir. Ich werde zu dir eilen, sobald es mir möglich ist, mich davonzustehlen. Ich kann es kaum mehr erwarten, dich aus dem Bade steigen zu sehen, so wie Gott dich schuf, meine schöne Nymphe! Auf ewig der Deine.“ Die Unterschrift war kaum lesbar, wie in all seinen Briefen. In diesem Moment öffnete sich die Tapetentür neben dem Kamin.
„Mon ami, du hast mich zu Tode erschreckt!“ Ihr koketter Blick sagte etwas ganz anderes. Sie ließ den Brief ins Wasser fallen und schlang ihre schlanken schneeweißen Arme um seinen Hals, als er sich über sie beugte und sie küsste.
Es ging alles sehr schnell. Mit der Rechten umklammerte er ihr Handgelenk. In seiner Linken blitzte die Klinge einer Schere auf. Ihr wurde plötzlich warm ums Herz. Sie sah noch, wie ihr Blut das Wasser verfärbte, und wunderte sich, wie dickflüssig es war. Kurz darauf schwanden ihr die Sinne.
6
Tausende Wiener waren gekommen, um Ihrer Majestät das letzte Geleit zu geben. Trotzdem brach keine Massenhysterie aus. Der erste Schock war vorüber, die ersten Tränen vergossen. Gustav hatte den Verdacht, dass die meisten aus reiner Sensationsgier und weniger aus Trauer gekommen waren. Kaiserin Elisabeth hatte sich ihrem Volk entfremdet. Wie Dorothea richtig bemerkt hatte, gab es eine junge Generation von Österreichern, die ihre Kaiserin gar nicht kannte, nie zu Gesicht bekommen hatte.
Die Begräbnisfeierlichkeiten erinnerten Gustav eher an einen der Festumzüge zu Fronleichnam oder zu diversen kaiserlichen Thronjubiläen. Die vielen Gaffer bestaunten die prächtigen Galauniformen der Offiziere von den diversen Regimentern, besonders die farbenfrohen ungarischen, und die edlen Gewänder der aristokratischen Damen, die ihre neuesten und extravagantesten Modelle trugen – oder besser gesagt, sich darin zur Schau stellten. Es fehlte gerade noch, dass die Menge zu applaudieren begann.
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