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Die Tote von Schoenbrunn

Die Tote von Schoenbrunn

Titel: Die Tote von Schoenbrunn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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Träumen heim. Er hatte die alte Hexe nicht gleich erkannt, weil sie diesmal bessere Kleider angehabt hatte. Welcher vornehmen Dame mag sie bloß diesen langen schwarzen Wollmantel mit Pelzbesatz gestohlen haben, überlegte Gustav. Offensichtlich verfolgte ihn die Alte. Aber warum? Diese Frage hielt ihn bis in die Morgenstunden wach.

9
    Den ganzen Vormittag wartete Gustav zu Hause auf eine Nachricht von seinem Freund Rudi.
    Dorothea, die am Küchentisch saß und in einem Lehrbuch für Anatomie las, hatte ihm dabei zuge­sehen, wie er in der Wohnung auf und ab lief.
    „Was ist los mit dir? Warum bist du so nervös?“
    „Ich verstehe nicht, warum sich Rudi nicht meldet. Er benimmt sich überhaupt sehr merkwürdig in letzter Zeit“, beklagte sich Gustav über seinen besten Freund.
    „Und was hindert dich daran, ihn einfach zu fragen? Geh zu ihm und frag ihn, warum er sich nicht anschauen lässt.“
    „Ach, misch dich nicht ein. Das ist Männersache.“
    „Mein Gott, seid ihr Männer kompliziert!“ Dorothea widmete sich wieder ihrer Lektüre.
    Um die Mittagszeit wurde Gustavs Unruhe so groß, dass er beschloss, Dorotheas Rat doch zu befolgen und Rudi in seinem Büro in der Polizeidirektion am Schottenring 11 aufzusuchen.
    Das Büro seines Freundes befand sich am Ende eines langen düsteren Ganges in einem ehemaligen Hotel, das die Regierung 1874 von der Austria Hotel Aktien­gesellschaft erworben hatte. Das Hotel war für die Welt­ausstellung 1873 in Wien erbaut worden. Die Umbauten zu einer zeitgemäßen Polizeidirektion hatten, dank des resoluten Anton Ritter von Le Monnier, des ersten Polizeipräsidenten von Wien, nicht viel Zeit beansprucht. Nach seiner Beförderung zum Polizei-Oberkommissär hatte Rudi Kasper mit einer ehemaligen Dienstbotenkammer als Büro vorlieb nehmen müssen. Mittlerweile residierte er in einer repräsentativen Suite des Gebäudes.
    Rudi thronte auf einem bequemen, mit rotem Leder gepolsterten Sessel hinter einem Monstrum von Schreibtisch und sah nicht einmal auf, als Gustav, nach kurzem Anklopfen, sein Büro betrat.
    Die bis an die Decke reichenden Aktenschränke wirkten in dem großen Raum fast ein wenig verloren. Die hohen Fenster gingen auf die Ringstraße hinaus. Die Polizeidirektion war als eines der ersten öffent­lichen Gebäude in Wien elektrifiziert worden. Gustav beneidete seinen Freund um die Lampe an der Decke und vor allem um die hübsche moderne Schreibtisch­lampe.
    „Servus. Ich hab gedacht, du rührst dich bei mir. Aber du scheinst ja in letzter Zeit sehr beschäftigt zu sein …“
    „Was willst du?“
    „Ich wollte dich zum Mittagessen einladen.“
    „Tut mir leid, Gustl, ich hab keine Zeit“, sagte Rudi eine Spur freundlicher.
    „Rauchen wir wenigstens eine miteinander?“ Gustav klappte sein silbernes Zigarettenetui, das er von seinem Großvater geerbt hatte, auf und bot seinem Freund ein Zigarillo an.
    „Von mir aus.“
    Als sich Rudi das Zigarillo ansteckte, sagte er: „Wundert mich, dass du das Etui noch nicht versetzt hast.“
    „Musst du mich andauernd an meine prekäre finanzielle Lage erinnern?“
    Gustav und seine Tante hatten im Laufe der letzten Jahre fast alles, was gut und teuer war, im Pfandl versetzt. Nur von der goldenen Taschenuhr und dem silbernen Zigarettenetui seines Großvaters hatte sich Gustav nie trennen können und das wusste Rudi, der den Untergang des Hauses Karoly Schritt für Schritt miterlebt hatte, allzu gut.
    „Habt ihr den Mann, der nach den Begräbnisfeierlichkeiten in der Innenstadt herumgeschossen hat, erwischt?“, fragte Gustav.
    „Ja. Das war ein besoffener einbeiniger Kriegs­veteran, der behauptete, Anarchist zu sein. Wir haben ihn in einer Zelle ausgenüchtert. Am nächsten Morgen war er lammfromm und konnte sich an nichts mehr erinnern. Aber die Geheimen von der Staatspolizei haben ihn trotzdem mitgenommen. Sie wollen den armen Kerl weiter verhören. Mittlerweile habe ich aber ein viel größeres Problem.“
    „Was ist los?“
    „Wir haben eine neue Leiche.“
    Gustav gab sich erstaunt, ließ sich nicht anmerken, dass ihm Rudis Vater bereits von dem Verbrechen erzählt hatte. Er wollte nicht für zusätzlichen Konfliktstoff zwischen Vater und Sohn sorgen.
    „Einer der Lakaien hat Sonntagfrüh in Schönbrunn eine Leiche im Toilettezimmer der Kaiserin gefunden. Die junge Dame ist entweder Samstagnacht oder schon während des Begräbnisses umgebracht worden. Offensichtlich hat vor den Morgenstunden keiner der

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