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Die Tote von Schoenbrunn

Die Tote von Schoenbrunn

Titel: Die Tote von Schoenbrunn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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ihrer verstorbenen Schwester war immer noch ein fescher Mann, obwohl er schon seinen Sechziger gefeiert hatte. Er hielt sich sehr aufrecht, wirkte fast ein bisschen steif, hatte die Haltung und das Gebaren eines Offiziers.
    Vera wusste, dass der Graf seit kurzem Witwer war. Seine Frau war vor einem Jahr gestorben. Vera hatte damals darauf bestanden, dass Gustav ihm kondolierte.
    Graf Batheny verhielt sich ihr gegenüber nahezu devot und ausgesprochen liebenswürdig. Er entschuldigte sich vielmals, dass er seinen Besuch so kurzfristig angekündigt hatte, aber es würde sich um eine äußerst dringliche Angelegenheit handeln. Dann bedankte er sich zum dritten Mal dafür, dass sie bereit gewesen war, ihn zu empfangen. Als ihm die Höflichkeitsfloskeln auszugehen schienen, kam er auf den wahren Grund seines Besuches zu sprechen.
    „Meine Tochter Marie Luise ist vorgestern, als sie im Park von Schloss Schönbrunn allein spazieren ging, überfallen und gewürgt worden. Sie hat den Täter nicht gesehen, da er sie von hinten angegriffen hat und sie kurz darauf in Ohnmacht gefallen ist. Als sie wieder erwachte, stand der Frantischek, ein Tscheche, der in der Schlossgärtnerei arbeitet, über ihr.
    Marie Luise behauptet, dass dieser tschechische Gärtner sie attackiert hat. Ich selbst bin jedoch der Ansicht, dass Frantischek nicht der Täter war, sondern im Gegenteil, den wahren Täter vertrieben und meine Tochter gerettet hat. Jedenfalls hab ich die Polizei verständigt. Polizei-Oberkommissär Rudolf Kasper, ein Freund von unserem Gustav, hat es sich nicht nehmen lassen, persönlich bei uns vorbeizuschauen. Im Gespräch mit ihm, bei dem ich anwesend war, hat sich meine Tochter dann in zahlreiche Widersprüche verwickelt und ist plötzlich in Tränen ausgebrochen. Wir konnten kein vernünftiges Wort mehr aus ihr herausbringen.“
    „Die arme Comtesse“, sagte Vera.
    „Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, gnädige Frau, wer von den beiden ärmer ist, meine Tochter oder der Frantischek. Ich kenne den Burschen seit vielen Jahren. Er kümmert sich auch um meinen Garten, schneidet unsere Bäume und mäht im Sommer öfter den Rasen. Der k.k. Polizeiagent, der in Begleitung des Herrn Oberkommissärs erschienen war, hat den Frantischek verhaftet und auf die Sicherheitswache mitgenommen. Denn zuletzt hat Marie Luise uns schluchzend die Schnitte an ihrem Unterarm gezeigt und immer wieder seinen Namen gestammelt. Es waren keine schlimmen Verletzungen, nur kleine Ritze, die nicht stark geblutet haben …“
    „Aber warum hat er sie angegriffen? Ist er ein bisschen …?“ Vera tippte sich auf die Stirn.
    „Nein, gar nicht. Er redet halt wenig, aber solche Leute reden in unserer Gegenwart ja ohnehin nie freiwillig. Die Polizei vermutet, dass er ein tschechischer Nationalist, ein Fanatiker ist, der die Ermordung der Kaiserin zum Anlass genommen hat, um nun am Wiener Hof für weitere Verunsicherung zu sorgen. Ich halte diesen Verdacht, gelinde ausgedrückt, für vollkommen absurd.“
    „Aber wer hat Ihre Tochter dann verletzt?“
    „Keine Ahnung. Das ist ja der Grund, warum ich Sie ersuche, mir zu helfen. Könnten Sie nicht bei Gustav ein gutes Wort für mich einlegen und ihn dazu überreden, diskrete Nachforschungen wegen dieses angeblichen Überfalls anzustellen? Die Geschichte ist sehr heikel. Ich möchte keinesfalls riskieren, dass ein Unschuldiger verurteilt wird, noch dazu, wenn er meiner Tochter nur helfen wollte. Frantischek kennt sie von klein auf. Noch schlimmer wäre es, wenn sich herausstellt, dass meine Tochter die ganze Geschichte nur erfunden hat.“
    „Das trauen Sie ihr zu?“
    „Ich bin mir nicht sicher. Sie ist ein bisschen sonder­bar in letzter Zeit, benimmt sich etwas altjüngferlich … – oh Pardon!“
    Seine Verlegenheit brachte Vera zum Lachen. „So wie ich, meinen Sie?“
    „Aber nein, gnädige Frau, das war nicht auf Sie gemünzt … eine Frau mit Ihrer Intelligenz und Ihrem Scharfsinn …“
    Sie weidete sich an seinem Gestammel.
    „Verzeihen Sie meine Offenheit, Frau von Karoly, aber ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden könnte. Es muss en famille bleiben. Meine Tochter ist leider eine Romantikerin, verstrickt sich gern in irgendwelche Fantastereien. Ich wäre heilfroh, sie endlich verheiratet zu wissen. Aber sie lacht ihren Verlobten, den armen Stanzi, immerhin Erzherzog Karl Konstantin von Österreich, höchstens aus, wenn er das Wort Hochzeit in den Mund nimmt. Ich bewundere seine Geduld.

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