Die Toten befehlen
Überlegung.
»Vorher will ich noch meine letzte Karte ausspielen«, dachte Jaime, »ich werde die Päpstin Juana besuchen. Seit vielen Jahren habe ich sie zwar nichtgesehen, aber sie ist meine nächste Verwandte, und nach dem Gesetz müßte ich ihr Erbe sein ... Wenn sie wollte! ... Ein Wort von ihr würde genügen, um alle meine Schwierigkeiten zu beenden.«
Er überlegte, welches die beste Zeit für seinen Besuch sein könnte. Jeden Nachmittag hielt Doña Juana ihre berühmten Empfänge ab, zu denen nur Domherren und die Vertreter religiöser Gesellschaften zugelassen wurden, die sie mit der Miene einer Herrscherin empfing. Das waren die Erben, die sich eines Tages in ihr großes Vermögen teilen würden. Wollte er seine Tante allein antreffen, mußte er sie jetzt sofort, nach der Messe, aufsuchen.
Doña Juana lebte in einem Palast unmittelbar neben der Kathedrale. Sie war ledig geblieben, denn sie verabscheute die Welt nach der Enttäuschung, für die sie Jaimes Vater verantwortlich machte. Die ganze Streitsucht ihres galligen Charakters und den Enthusiasmus ihres trockenen und hochmütigen Glaubens widmete sie der Politik und der Religion. »Für Gott und für den König« war ein beliebtes Wort in ihrem Munde. In ihrer Jugend hatte Doña Juana von den Heldinnen der Vendée geträumt und sich für die Taten und für das Unglück der Herzogin von Berry begeistert. Damals bestand ihr Ideal darin, wie diese mutigen Frauen, die für die Religion und die Rechte des legitimen Herrschers eintraten, zu Pferde zu steigen, mit einem Kruzifix auf der Brust und einem Schwert an dem Gürtel ihres Reitkleides. Diese phantastischen Ideen waren natürlich nur Wünsche geblieben. In Wirklichkeit hatte sie keine andere Expedition gemacht als eine Reise nach Katalonien während des letzten Karlistenkrieges, um aus der Nähedie Fortschritte dieses »heiligen Unternehmens« zu verfolgen, das einen Teil ihres Vermögens verschlang.
Die Feinde der Päpstin Juana behaupteten, daß sie in ihrer Jugend den spanischen Kronprätendenten, Graf von Montemolin, in ihrem Palast verborgen und ihn dort mit dem General Ortega, Generalgouverneur der Insel, in Verbindung gebracht hätte. Auch erzählten sie von ihrer romantischen Liebe für den Grafen. Jaime lachte, wenn er so etwas hörte. Alles Verleumdungen! Sein Großvater, Don Horacio, der sehr gut über die damaligen Vorgänge unterrichtet war, hatte ihm verschiedentlich davon gesprochen. In Dona Juanas Leben gab es nur eine einzige Liebe, die unerwiderte Neigung zu Jaimes Vater. Der General Ortega war ein Phantast, den Doña Juana von der Notwendigkeit überzeugte, in Spanien die Liberalen auszurotten und die Herrschaft des Adels wiederherzustellen. »Für Gott und für den König!« Ortega landete in Spanien, aber der Aufstand der Karlisten wurde niedergeschlagen und der General in Katalonien füsiliert. Doña Juana war in Mallorca geblieben, bereit, ein anderes »heiliges Unternehmen« mit Geld zu unterstützen.
Man glaubte, daß sie durch die großen Summen, die sie in dem Bürgerkriege für die Karlisten geopfert hatte, ruiniert sei. Aber Jaime kannte das ungeheure Vermögen der frommen Dame. Sie besaß immer noch eine Anzahl großer Güter auf der Insel, und das einfache Leben, das sie führte, verursachte ihr keinerlei größere Ausgaben. Doch ihre Einkünfte verteilte sie jetzt unter die Kirchen und Klöster und machte dem Peterspfennig reiche Zuwendungen. Den alten Wahlspruch »für Gott und den König« hörte man nichtmehr, denn ihr Interesse hatte sie jetzt ungeteilt auf die Kirche konzentriert.
Ein glühender Wunsch beherrschte sie. Die goldene Rose! Würde ihr der heilige Vater vor ihrem Tode die goldene Rose senden? Und sie lebte noch einfacher, und noch größere Summen flössen nach Rom. »Die goldene Rose haben, und dann sterben ...!«
Febrer kam zum Hause seiner Tante. Eine junge, blasse Dienerin, wie eine Nonne gekleidet, öffnete die Tür und war äußerst überrascht, als sie Don Jaime erkannte. Sie bat ihn, in das Empfangszimmer einzutreten, und ging, um diesen ungewöhnlichen Besuch anzumelden, der den Klosterfrieden des Palastes störte.
Lange Minuten vergingen. Jaime hörte in den benachbarten Räumen behutsame Schritte und sah, wie sich Vorhänge leise bewegten. Er erriet hinter ihnen verborgene Augen, die ihn beobachteten. Endlich kam die Dienerin zurück und führte ihn in einen Salon.
Jaime vertrieb sich die Zeit damit, den großen Raum zu mustern, der
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