Die Toten befehlen
Gemütsruhe verlor.
Im Innern der Insel geboren, war es ihm durch Energie und Mut gelungen, eine weitverzweigte Organisation zu schaffen, von deren Bestehen jedermann wußte, die aber im übrigen in undurchdringliches Geheimnis gehüllt blieb. Hunderte waren bereit, sich für ihn zu opfern. Seine unsichtbare Flotte fuhr nur bei Nacht, ohne Furcht vor Sturm, um an den unzugänglichsten Stellen der Küste anzulegen. Ungeachtet der Gefahren, die seine Unternehmungen ständig mit sich brachten, verriet sein joviales Gesicht niemals die geringste Besorgnis. Man sah ihn nur traurig, wenn mehrere Wochen vergingen, ohne daß er Nachricht von irgendeinem Schiff erhielt, das bei schlechtem Wetter von Algier abgesegelt war.
»Verloren«, sagte er zu seinen Freunden. »Schiff und Fracht bekümmern mich nicht, aber die sieben Mann an Bord. Ich werde sehen, daß es den Familien nicht am täglichen Brot mangelt.«
Manchmal heuchelte er auch Betrübnis, allerdings mit einem ironischen Zucken der Lippen. Ein Zollkutterhatte eine seiner Barken aufgebracht. Alle Welt lachte, denn man wußte, daß Tòni von Zeit zu Zeit ein altes, mit einigen Ballen Tabak beladenes Fahrzeug den Zollwächtern in die Hand spielte, damit sie sich mit diesem Fang in der Öffentlichkeit brüsten könnten.
Als in afrikanischen Häfen eine Epidemie ausgebrochen war, ließen die Behörden von Mallorca, angesichts der Unmöglichkeit, die ganze, ausgedehnte Küste zu überwachen, Tòni kommen und appellierten an seinen Patriotismus. Der Schmuggler versprach sofort, seine Schiffe die verseuchten Häfen nicht anlaufen zu lassen.
Die beiden Freunde drückten sich die Hand.
»Du warst in Valldemosa, Jaime!«
Tòni wußte schon von diesem Besuch, denn jede, auch die geringste Neuigkeit bedeutete in dem ruhigen und einförmigen Leben dieser Stadt ein Ereignis, dessen Kunde sich mit Blitzesschnelle verbreitete.
»Man erzählt sich noch etwas mehr«, fuhr Tòni im Dialekte von Mallorca fort, »etwas, was ich für eine Lüge halte. Man sagt, daß du dich mit der Tochter von Benito Valls verheiratest.«
Febrer wagte nicht, seinem Freunde gegenüber zu leugnen.
»Ja, es ist wahr, Tòni.«
Der Schmuggler, den nichts aus der Ruhe bringen konnte, verlor zum ersten Male die Fassung:
»Das ist schlecht, was du tust, Jaime!«
Er sprach diese Worte mit feierlichem Ernst.
Der Butifarra behandelte diesen Freund mit einer Vertraulichkeit, wie er sie für keinen anderen hatte:
»Aber ich bin vollkommen ruiniert, lieber Tòni! Kein Stück im ganzen Hause gehört mir! Wenn meine Gläubiger mir noch eine Frist gegeben haben, so taten sie es nur in der Hoffnung auf diese Heirat.«
Tòni schüttelte den Kopf. Dieser einfache Mann vom Lande, dieser Schmuggler, der sich ohne Bedenken über die Gesetze hinwegsetzte, war über Jaimes Entschluß erschüttert.
»Wie es auch immer sei, es ist schlecht, was du tust. Aus deinen Schwierigkeiten mußt du heraus, doch auf eine andere Weise ... Wir, deine Freunde, werden dir helfen. Aber du eine Chueta heiraten! ...«
Er verabschiedete sich von Jaime und wiederholte beim Weggehen nochmals in vorwurfsvollem Ton:
»Denke daran, Jaime. Was du tust, ist schlecht!«
IV.
Als Jaime um drei Uhr morgens zu Bett ging, glaubte er in der Dunkelheit seines Schlafzimmers die Gesichter von Kapitän Valls und Tòni Clapès zu sehen. Wie am Tage vorher schienen sie mit ihm zu sprechen.
»Ich protestiere«, sagte der Kapitän mit ironischem Lachen. »Tu es nicht«, riet der Schmuggler mit ernster Miene.
Jaime hatte die Nacht im Kasino zugebracht, schweigsam und schlechter Laune unter dem Eindruck dieser Auseinandersetzungen. Worin lag nur das Seltsame und Absurde seiner Absicht, daß sie von beiden verdammt wurde, von diesem Chueta, für dessen Familie diese Heirat eine ungeheure Ehre war, und von diesem Schmuggler, der fast außerhalb der Gesetze lebte? Gewiß, die Heirat würde einen Skandal auf der Insel hervorrufen. Aber hatte er nicht dasRecht, sich auf irgendeine Art zu retten? War es vielleicht das erstemal, daß ein Edelmann durch eine reiche Heirat wieder zu Vermögen kam? Erlebte man nicht jeden Tag, daß Herzöge und Grafen ihren Namen an die Töchter amerikanischer Millionäre verkauften, deren Herkunft dunkler war als die von Don Benito? Trotzdem, dieser Narr von Pablo hatte zum Teil recht. In der ganzen übrigen Welt konnte man solche Verbindungen eingehen, aber nicht auf Mallorca. Die Seele dieser Insel, die Seele der vergangenen
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