Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
Vom Netzwerk:
Hände, die gefaltet auf dem vertrauten Holztisch lagen, an dem ich früher täglich nach der Schule bei Emmelina gesessen hatte und später dann mit Mama, wenn ich tatsächlich einmal nach Hause gekommen war. An dem ich dem armen Kind der Banducci Kekse zu essen gegeben hatte. An dem wir kaum sechs Monate zuvor mit den ersten Kriegsgefangenen gesessen und ihnen einen Plan unterbreitet hatten, wie wir ihnen mit etwas Verbandsmaterial und einem Krankenwagen möglicherweise das Leben retten könnten.
    »Wir sollten abstimmen«, sagte Papa.
    Ich wusste, dass Issa mich beobachtete. Ich spürte ihren Blick im Dunkeln. Papa hob die Hand. Dann hob Enrico seine. Dann Carlo, dann Mama und schließlich ich.
    Wie brave Kinder in der Schule saßen wir im Dunkeln. Keiner sagte ein Wort. Wir warteten ewig. Aber Issas Hand blieb unten.
    Schließlich stand Papa auf und sagte: »Nun denn, wir haben eine Mehrheit. Damit ist es beschlossen.«
    Und das ist es. Das Datum steht. In zwei Tagen, am Montag, dem 12. Juni, wird ROMEO auf JULIA warten. Ich sollte einen Ort zum Senden finden, und ich habe einen gefunden.
    Die alte Dame, der das Haus gehörte, starb vor einer Woche. Seit vier Tagen habe ich es beobachtet. Es steht leer, gar keine Frage. Ich war persönlich dort – es befindet sich abseits der Via dei Renai –, morgens, abends und am Nachmittag. Ich habe mich ins Haus geschlichen. Ich bin die Räume abgegangen, habe in alle Schränke geschaut und bin die Treppe hinaufgestiegen.
    Es ist ein altes Haus, in dem die Dienstbotenzimmer unten und die Wohnräume der Familie im ersten Stock liegen: Esszimmer, Wohnzimmer und Salons. Im zweiten Stock sind die Schlafzimmer untergebracht, und darüber gibt es einen Speicher. Ich hatte mir alle möglichen Lügen zurechtgelegt, falls mich jemand zur Rede stellen sollte. »Sie hat mir erzählt, sie hätte ihrer Familie Briefe hinterlassen.«, »Sie hat mir die Porzellankatze auf der Kommode vermacht.« Aber hier ist alles leer. Auch auf der Straße habe ich so gut wie niemanden gesehen. Die Menschen packen und fliehen. Nach Norden, um nicht unter Beschuss zu geraten, wenn die Alliierten vorrücken.
    Ich habe niemandem gesagt, wo wir uns treffen werden, nicht einmal Mama oder Papa. Erst am Vorabend werde ich Issa die Adresse verraten. Sie wird wiederum alle informieren, die Bescheid wissen müssen. Vor allem wegen des Babys, glaube ich, ist sie argwöhnisch wie ein Fuchs. Mir tuschelt sie zu, dass bei jedem Treffen Gefahr droht. Uns allen erklärt sie, dass es zu riskant ist, sich an einem Ort zu versammeln. Ich weiß, sie denkt dabei an den letzten Februar. Aber ich habe ihr geantwortet, dass sie selbst erklärt hat, damals seien zu viele Gruppen, zu viele Menschen, die sich untereinander kaum kannten, in die Sache verstrickt gewesen. Diesmal ist es anders. Ich habe versucht, ihr Mut zu machen. Wir werden zu neunt sein, ja – aber fünf davon sind wir, Carlo ist der Sechste, und die anderen drei sind GAP-Mitkämpfer, mit denen sie von Anfang an zusammengearbeitet hat. Sie vertrauen einander. Und sie gehen ein ebenso großes Risiko ein wie wir.
    Ich sage das Issa, und auch wenn sie das kaum beruhigt, so hat sie mir doch zugestimmt, dass wir ohnehin keine Wahl haben. Es ist zu gefährlich, mehrmals zu senden. Unmöglich. Dies wird das letzte Mal sein. Danach sollen Mama und Papa die Stadt verlassen, so möchte es Enrico. Ich versuche derweil, Issa zu überzeugen, dass sie mit ihnen flieht. Ich werde im Krankenhaus bleiben, aber sie darf nicht mehr nur an sich denken.
    Ich war in letzter Zeit wieder öfter zu Hause. Plötzlich möchte ich wieder in meinem eigenen Bett schlafen. Ich wandere nachts durch die Zimmer. Ich präge mir die Schatten und die Formen der Bäume im Garten ein. Gestern kam ich kurz vor Sonnenuntergang heim und sah Mama und Papa im Garten unter den Kirschbäumen graben. Als ich sie fragte, was sie da täten, antworteten sie, dass sie das Haus vorbereiteten, falls alliierte Soldaten es besetzen sollten. Glas- und Silberwaren stehen verpackt auf dem Speicher. Papa hat seine Lieblingsbücher im Keller versteckt. Aber Mama möchte ihren Schmuck nicht aufs Spiel setzen, falls das Haus bombardiert wird, darum haben sie beschlossen, alles in Öltücher zu packen und es zu vergraben. Als ich sie ansah, stellte ich fest, dass ihre Hände nackt waren. Keine Eheringe. Kein Aquamarin. Mama erzählte, sie hätten einen kostbaren Teelöffel Öl und eine Stunde gebraucht, um ihn von ihrem

Weitere Kostenlose Bücher