Die Toten der Villa Triste
mit einer Flasche zurück. Verwirrt sah er auf den Tisch. Er hatte das zweite Gedeck bereits abgeräumt.
»Ich bleibe nicht lang.«
»Aber ein Glas trinken Sie doch mit mir?« Eleanor Sachs lächelte. »Ich glaube, der hier wird Ihnen besser schmecken als das klebrige Zeug von neulich.«
Der Ober brachte ein zweites Glas und entkorkte die Flasche. Sie hatte schon wieder recht. Pallioti stellte sein Glas ab.
»Dottoressa Sachs«, sagte er. »Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.«
Eleanor Sachs hatte den Anstand, ihn überrascht anzusehen.
»Sie hatten recht«, sagte Pallioti. »Mit dem Salz …«
Sie lächelte. »Sie haben mir also nicht geglaubt?«
»Und mit Roberto Roblino und Giovanni Trantemento.«
Das Lächeln erlosch.
»Sie kannten einander tatsächlich«, sagte Pallioti. »Genau gesagt hat Trantemento Roberto Roblino für einen Orden empfohlen.«
»Wie bitte?«
Pallioti nickte.
»Sie waren in derselben GAP-Einheit. Sie arbeiteten 1944 zusammen, und zwar hier in Florenz.«
Sie schüttelte den Kopf, als würde diesmal sie ihm nicht glauben.
»Das ist wirklich eigenartig«, sagte sie.
Sie griff nach ihrem Glas. Pallioti hatte neulich im Café nicht genau erkennen können, welche Farbe ihre Augen hatten. Ihm war nur ihr Schnitt aufgefallen. Jetzt, im Tageslicht, schienen sie fast zu glitzern, so lebhaft funkelten sie zwischen den Wimpern hervor, die genauso dunkel waren wie ihr Haar.
»Es ist nur so, dass … ich habe es Ihnen ja erzählt.« Sie nahm einen Schluck Wein. »Der alte Herr war im Grunde seines Herzens ein Aufschneider. Sie wissen schon, ein Dampfplauderer. Ich weiß nicht, warum er mir das nicht erzählt hat.«
»Er hat es nicht erzählt?«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Er hat das mit keinem Wort erwähnt. Dabei hat er über alles Mögliche geredet. Sie wissen schon, vom Krieg schwadroniert, wie viele Nazis er getötet hat. Aber das hat er nicht erzählt. Über die GAP hat er sich nie genauer ausgelassen. Und ganz bestimmt hat er mir nicht erzählt, dass er Trantemento kennt.« Sie sah ihn an. »Ich meine, ich hatte das insgeheim vermutet. Aber wer hätte das gedacht?«
»Nun, sein Codename war Beppe, glaube ich wenigstens. Giovanni Trantemento war als Il Corvo bekannt. Ich weiß nicht, ob Ihnen das irgendwie hilft.«
Eleanor Sachs drehte das Glas auf der Tischdecke.
»Warum erzählen Sie mir das alles?«, fragte sie. »Nicht dass ich nicht wirklich dankbar dafür wäre.«
Pallioti hatte schon aufstehen wollen, ließ es aber sein.
»Nun ja«, sagte er, »ich dachte, Sie würden gern erfahren, dass Sie recht hatten.« Er lächelte und stand nun tatsächlich auf. »Vielleicht«, ergänzte er, »hilft Ihnen das ja bei der Jagd nach Il Spettro.«
»Also glauben Sie das mit dem Gespenst immer noch nicht?« Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. »Schon gut«, sagte sie. »Es glaubt auch sonst niemand daran. Und erst recht glaubt niemand, dass Il Spettro noch herumläuft und alte Männer ermordet. Ich schätze, diese Lösung wäre zu einfach? Dass die beiden von einem Gespenst umgebracht wurden?«
Pallioti dachte an die verschmierten Kreuze und die rote Tintenschrift. An die fehlergespickten Hassbriefe.
»Vielleicht«, pflichtete er ihr bei. »Also«, sagte er und drehte sich zum Fenster um, wo die Kinder zum nächsten Gang herbeigerufen wurden, »ich muss jetzt wirklich an meinen Tisch zurück.«
Eleanor reichte ihm die Hand. »Danke«, sagte sie. »Sie hätten das nicht tun müssen. Ich weiß das wirklich zu schätzen.«
Wenn sie lächelte, sah sie völlig verändert aus. Das einsame Kind verschwand und machte einer hübschen Frau Platz. Er ergriff ihre Hand. Die Knochen fühlten sich zerbrechlich an wie die eines Vögelchens.
»Hoffentlich hilft Ihnen das weiter«, sagte er. »Und Sie sagen mir Bescheid? Falls Sie mich widerlegen und Il Spettro doch noch finden?« Palliotis Lächeln verwandelte sein Gesicht fast so sehr, wie das von Eleanor Sachs ihres verwandelt hatte.
»O ja …« Sie lachte. »Auf jeden Fall. Sie erfahren es als Erster. Abgemacht.«
Pallioti hatte den Raum halb durchquert und sah schon den Teller mit Ossobuco vor seinem leeren Stuhl stehen, als er noch einmal kehrtmachte. Eleanor Sachs sah auf. Sie schien nicht besonders überrascht, ihn neben ihrem Stuhl stehen zu sehen.
»Da wäre noch etwas.« Er zögerte, weil er sich albern vorkam. Sie wartete ab. »Ich nehme nicht an«, sagte er schließlich, »dass Sie bei Ihren Forschungen über die
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