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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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schick. Hier waren die Wälder in der Vergangenheit gern als Friedhöfe für die ausgeweideten Karkassen gestohlener Autos und Schlimmeres missbraucht worden. Hätte sich Pallioti umgedreht, hätte er nicht auf ein Panorama von verträumten Kirchtürmen, sondern auf die gedrungenen Quader der Lagerhäuser und die hochkant stehenden Schachteln der Wohnblocks geblickt. Der große Wagen schnurrte hügelaufwärts. Ein Laster rumpelte an ihnen vorbei ins Tal. Pallioti drehte sich um, als er eine Hupe blöken hörte, und sah, wie der Laster um Haaresbreite an einem Taxi vorbeischrammte, das hinter ihnen fuhr.
    Ohne sich durch die immer steileren Straßen, Kurven oder bergab schießenden Lastwagen beirren zu lassen, fuhr Signora Grandolo bergauf, wobei sie das Lenkrad mit beiden Händen umfasste. Aus dem Seitenfenster sah Pallioti, wie der Hügel abfiel und dabei den Straßenrand mitriss. Müll, Plastiktüten und Flaschen lagen verstreut zwischen dürren Bäumen. Durch das nackte Wintergeäst sah er Metall glänzen, einen kopfunter gekippten Einkaufswagen, der halb im Wasser eines dunklen Bachs versank. Als man Isabella diese Straße hinaufgefahren hatte, hatte höchstwahrscheinlich nirgendwo Müll gelegen – kein Plastik und erst recht kein wertvolles Altmetall. Die Bäume waren belaubt und das Wasser war nur ein heller Lauf gewesen, ein silbernes Band, das im Sonnenschein Verstecken spielte. Sie hatte geglaubt, dass sie sterben würde, dass man ihr befehlen würde, auszusteigen und loszurennen. Sie hatte Caterina erklärt, dass sie bereit gewesen sei. Er fragte sich, ob sie sich wohl entschieden hatte, dem Wasser oder ihren Bergen entgegenzurennen.
    Wie um seine Frage zu beantworten, machte die Straße eine letzte scharfe Kurve und lief dann eben weiter. Der große Wagen beschleunigte, und einen Moment lang war der Horizont mit Gipfeln erfüllt, deren Zähne sich scharf und weiß vor dem Winterhimmel abzeichneten.
    Der Borgo, in dem sie schließlich hielten, bestand nur aus einer Ansammlung düsterer Steinhäuser, dazu eine Bushaltestelle sowie eine winzige Kirche, die ein wenig von der Straße zurückgesetzt stand. Signora Grandolo parkte neben einem früheren Brunnen oder, wahrscheinlicher, einer ehemaligen Viehtränke. Auf der anderen Straßenseite stand ein altes, verrammeltes Gebäude, das aussah, als hätte es früher als Kutschstation gedient, wo ein letztes Mal die Pferde gewechselt wurden oder die Reisenden eine Nacht verbringen konnten, bevor sie die lange Reise über die Berge und hinab nach Bologna antraten.
    Pallioti nahm den zweiten weißen Karton vom Rücksitz des Mercedes. Signora Grandolo schloss den Wagen ab und führte ihn über die Straße. Sie mussten kurz stehen bleiben, als das Taxi, das ihnen nachgefahren war, in Sichtweite kam. Es wurde kurz langsamer, als wollte es anhalten, und verschwand dann hinter der nächsten Biegung. Das Motorgeräusch erstarb. Aus keinem der Häuser war ein Laut zu hören, nirgendwo läutete ein Telefon oder plapperten Stimmen beim Mittagessen. Der Wind blies einen Plastikbecher herbei, der vor ihnen über die Straße tanzte und sie zu einer schmalen Öffnung in einer hohen Steinmauer lotste, neben der ein kleiner gelber Pfeil, wie ihn Wanderer benutzten, aufgemalt war.
    Als sie näher kamen, sah Pallioti die geisterhaften Buchstaben des ehemaligen Wirtshausnamens durch die dünne weiße Kalkschicht schimmern. IL BUON RIPOSO. Die gute Rast. Er fragte sich, ob die SS-Leute das lustig gefunden hatten.
    Der alte Hirtenpfad war schmal und holperig. Hinter der Mauer führte er ein paar Meter steil bergab, bevor er sich am Hang entlangwand und ebener wurde. Hier waren die Bäume älter und die Kronen breiter, so als wanderten sie durch ein Überbleibsel des Urwalds, der sich einst bis an die Stadttore ausgebreitet hatte. Birken- und Kastanienlaub raschelte unter ihren Füßen. Schweigend gingen sie dahin. Signora Grandolo wirkte so gedankenversunken wie Pallioti. Offenbar kannte sie den Weg gut. Ihre Stiefel schritten gleichmäßig über die abgetretenen Steine. Pallioti fragte sich, was für Schuhe Isabella damals getragen hatte. War sie ins Stolpern geraten und musste gestützt werden? Half ihr die starke Hand des Offiziers auf, der sie am Arm hielt, höflich bis zum Letzten und stolz darauf, wie fürsorglich er sich um die Schwangere kümmerte?
    Das Denkmal stand am Rand der Lichtung. Man hatte sie offen gehalten, davon zeugten die schmalen Stümpfe frisch geschlagener

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